Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)
Der Akt an sich scheint ein sehr anstrengendes und schmerzhaftes Unterfangen zu sein. Immer wieder wechseln Männchen und Weibchen aus einer Unbequemlichkeit heraus ihre Stellung. Die Rötungen im Gesicht, am Körper und besonders im Genitalbereich deuten auf schwere innere Blutungen hin. Immer wieder versuchen Männchen und Weibchen, sich gegenseitig in den Mund zu beißen. Zudem wird das Liebesspiel von schmerzverzerrten Lauten begleitet, die hin und wieder sogar andere Männchen anlocken können. Das Männchen zeigt sich zwar vom Erscheinen eines männlichen Artgenossen irritiert, lässt diesen aber dank der multiplen Körperöffnungen des Weibchens gewähren. Ganz offensichtlich ein evolutionärer Vorteil des weiblichen Geschlechts.
Mit dem Fortschreiten des Liebesspiels scheint beim Männchen eine Art Kurzzeit-Sediertheit einzusetzen, am stärksten gekennzeichnet durch den Verlust der Sprachfähigkeit. Das Erscheinen des Sekundärweibchens wird nur noch mit einem unverständlichen Grunzen kommentiert. Das Sekundärweibchen beginnt nun damit, aktiv am Paarungsspiel teilzunehmen. Nur dank einer unterschiedlichen Markierung mit kleinen Metallringen im Bauchnabel und im Intimbereich ist es dem Männchen überhaupt noch möglich, Primär- und Sekundärweibchen auseinanderzuhalten. Von der doppelten Stimulation beflügelt, erreicht das Männchen schon bald seinen lang ersehnten Höhepunkt. Mit einem gequälten und eruptiven Grunzen legt das Männchen seinen Samen auf dem Gesicht des Weibchens ab.
Warum auf dem Gesicht und nicht in die Mundöffnung des Weibchens, wo die eigentliche Befruchtung stattfindet?
Nun, erst hier, an dieser Stelle, wird die biologische Bedeutung des Sekundärweibchens deutlich. Mit seiner Zunge nimmt es den Samen des Männchens vom Gesicht des Primärweibchens auf. Erst dadurch findet die notwendige Veredelung des männlichen Samens statt, die eine Befruchtung überhaupt erst möglich macht. Zudem, vermuten wir, fügt das Sekundärweibchen dem aufgeleckten Samen des Männchens ganz unauffällig sein eigenes Fortpflanzungssekret hinzu. Wahrscheinlich besitzt es zwar die Fähigkeit, Nachwuchs zu zeugen, ihn aber nicht, wie es das Primärweibchen tut, auch auszutragen. Erst indem das Sekundärweibchen den Samen des Männchens und damit auch sein eigenes Sekret in die Mundhöhle des Weibchens füllt, kann die Befruchtung stattfinden. Dass es dabei dem Zufall überlassen bleibt, ob eine Befruchtung durch den Samen des Männchens oder das Sekret des Sekundärweibchens stattfindet, duldet das Männchen einzig und allein aufgrund seiner postkoitalen Sediertheit. In wenigen Wochen schon werden in den Backentaschen des Weibchens die ersten Sprösslinge heranwachsen, ob es die Sprösslinge des Männchens oder des Sekundärweibchens sind, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben.
Zu guter Letzt geben wir zu, dass wir diese komplexen Vorgänge ohne die Begutachtung der verschiedenen Lehrfilme aus dem Bestand eines arttypischen Männchens nur schwerlich verstanden hätten. Es darf getrost als biologisches Wunder gelten, dass die Spezies Mensch angesichts solch komplizierter Paarungsumstände überhaupt noch existiert.
MITTWOCH
Manchmal, wenn ich ganz allein vor meinem Rechner sitze und zu Abend esse, wünsche ich mir, ich könnte dabei ein YouTube-Video von Jake Gyllenhaal anschauen, wie er ganz allein vor seinem Rechner sitzt und zu Abend isst
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HERR CAYCIG.
ODER: DER TOD STEHT IHM GUT
Seit einem halben Jahr liegt Herr Caycig von nebenan tot in seiner Wohnung. An den Geruch habe ich mich mittlerweile gewöhnt und nutze den unverhofften Stauraum im Hausflur, um mein Fahrrad vor seiner Wohnung abzustellen. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, in seinem Türrahmen ein paar Regalböden einzuziehen und einige meiner Zimmerpflanzen auszulagern. »So, Herr Caycig! Das bringt doch gleich wieder richtig Leben in die Bude«, würde ich sagen und mir die Nase zuhalten, um dann doch noch ein paar Duftbäumchen durch seinen Briefschlitz zu schieben.
Dass Herr Caycig es ein wenig übertreibt mit dem Herumgammeln, ist bisher noch niemandem aufgefallen. Außer mir natürlich, und sagen wir so: Ich genieße es sehr, einen Nachbarn zu haben, der den Begriff Totenstille zur Abwechslung mal wörtlich nimmt. Es ist nämlich so, dass nicht Platz der eigentliche Luxus des Lebens ist, sondern Ruhe. Da kann ich auch gern darüber hinwegriechen, dass es in meinem Flur immer nach vergorenen Organen müffelt.
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