Haus der Angst
abverlangt.“
„Nun, man muss Prioritäten setzen. Jack würde all seine Zeit mit Ihnen und den Enkelkindern verbringen, wenn er könnte. Aber das wissen Sie ja. Leider muss ich ihn da oft zurückhalten und ihm helfen, nicht die Übersicht zu verlieren. Es wird einem allerdings nicht gedankt, wenn man jemandem dauernd etwas verweigern muss. Zum Glück hat er dafür Verständnis.“
„Glauben Sie, dass es besser wäre, wenn er nicht den ganzen August hier verbringen würde?“
„Offen gestanden, ja. Ich persönlich kann ihn natürlich verstehen. Sie sind seine ganze Familie. Aber beruflich betrachtet ist er nun mal Senator von Rhode Island und nicht von Vermont.“ Barbara lächelte verbindlich. „Wären Sie nach Providence oder Newport gezogen, sähe die Sache schon ganz anders aus.“
Mit anderen Worten: wenn sie eine gute Schwiegertochter wäre. Lucys Lachen klang fröhlich. „Leider hat mir in Providence oder Newport niemand ein Haus angeboten, das ich mir hätte leisten können. Jetzt muss ich aber gehen. Wir bereiten gerade noch eine Rucksack-Tour für Väter und Söhne vor.“
„Es ist sicher angenehm, so frei über seine Zeit verfügen zu können“, meinte Barbara. „Ich kenne gar nichts anderes als meine festen Bürozeiten.“
„Es war nett, sich mit Ihnen zu unterhalten, Barbara.“
„Ganz meinerseits.“ Als Lucy die Treppe hinunterging, rief Barbara ihr nach: „Übrigens, an Ihrer Stelle würde ich mich vor Sebastian Redwing in Acht nehmen.“
Lucy drehte sich um. „Sebastian? Warum?“
„Ich denke, er ist nicht nur deshalb hier, um das Haus seiner Kindheit noch einmal zu sehen.“
Stimmt, dachte Lucy. Er kümmert sich nebenbei noch um die Erpressung eines Senators. „Da mache ich mir keine Sorgen. Ich kenne Sebastian schon seit vielen Jahren.“
Barbara trat auf die oberste Treppenstufe. Sie ist eine gut aussehende Frau, dachte Lucy, aber provozierend.
„Es ist schließlich ganz offensichtlich, Lucy. Sie sind der eigentliche Grund.“
„Was?“
„Er liebt Sie doch schon seit langem. Das weiß jeder – außer Ihnen.“
„Washington!“ Lucy versuchte, das unangenehme Gefühl mit einem Lachen zu vertreiben. „Also, den Klatsch vermisse ich wirklich nicht. Bis bald, Barbara. Lassen Sie sich die Muffins schmecken.“
Wieder zurück beim Auto setzte Lucy sich hinters Steuer. Sie war wütend auf sich selbst, wütend auf Barbara. Als sie überlegte, was diese Frau ihr angetan hatte, wurde ihr fast übel. „Wenn ich doch nur Beweise hätte. Ich würde diese Ziege bei den Haaren packen und persönlich zur Polizei schleifen“, sagte sie laut.
„Na, na, na.“ Sebastian grinste, als er die Beifahrertür öffnete und einstieg. „Deine Einstellung gefällt mir.“
„Das war nicht für deine Ohren bestimmt.“
Er ließ sich in seinen Sitz fallen. „Belauschen ist eine Kunst, die nicht angemessen gewürdigt wird.“
„Du hast mein Gespräch mit Barbara belauscht?“
„Ja. Das war sozusagen die weibliche Version eines Pinkelwettbewerbs.“
„Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.“ Lucy ließ den Motor an und setzte wütend zurück. „Mir ist es egal, ob sie vierundzwanzig Stunden am Tag arbeitet und mich für eine Landpomeranze hält. Absolut egal.“
„Sie hat dich dazu gebracht, dich mit ihren Maßstäben zu messen anstatt mit deinen.“
Lucy schaltete in den ersten Gang, trat aufs Gaspedal und schoss den Waldweg hinunter. Er hätte dringend ausgebessert werden müssen; der Wagen holperte über Schwellen und Unebenheiten. „Wahrscheinlich muss sie sich einreden, wie wichtig ihre Arbeit für Jack ist und dass sie von morgens bis abends für ihn da ist, weil sie nichts anderes hat im Leben.“ Sie holte tief Luft und lockerte den Griff um das Steuerrad. „Aber wenn ich so was sage, bin ich genauso mies wie sie, weil ich ihre Entscheidung verurteile. Ja, du hattest Recht. Es war ein Pinkelwettbewerb.“
„Würdest du bitte etwas langsamer fahren? Wenn wir an einem Baum landen, muss Plato möglicherweise noch deine Kinder großziehen.“ Sebastian lehnte sich in seinen Sitz zurück. Er sah nicht so aus, als ob ihm ihre Fahrweise etwas ausmachte. „Das willst du doch bestimmt nicht – einen Mann als Ersatzvater, der auf hoher See mitten in einem Orkan aus dem Hubschrauber springt.“
Sie verlangsamte das Tempo. Aber nicht, weil sie Angst hatte, gegen einen Baum zu fahren, oder dass Plato Rabedeneira ihre Kinder großziehen würde. Sie schaute zu
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