Haus der Angst
jetzt seil dich über den Felsen ab.“
„Lassen Sie zuerst J. T. laufen.“
„Madison, du hast hier nichts zu bestimmen. Das tue ich. Ich kümmere mich seit zwanzig Jahren um die Angelegenheiten der Swifts. Also lass mich auch das hier machen.“ Sie stand kerzengerade, ohne auf den Regen zu achten, der auf sie herunterprasselte, und zielte mit der Pistole auf das Mädchen. „Seil dich ab in den Wasserfall!“
Barbara trat einen Schritt zurück, während Madison gehorsam aufstand und vorsichtig über die verschlungenen Wurzeln der Schierlingstanne stieg. Sie war kreideweiß, als sie noch einmal tief Luft holte und ein Stück vom Seil durch ihre Hände laufen ließ. Sie zog kräftig daran, um zu prüfen, ob die Schlinge um den Baum hielt.
„Mach nicht so langsam“, drängte Barbara. „Wenn ich dich hinunterstoßen muss, wird es schmerzhafter. Das Seil wird in deine Haut schneiden, und du wirst gegen die Felsen prallen.“
Madison nickte. „Ich weiß. Ich habe nur ein bisschen Angst. Meine dumme Mutter sollte eigentlich hier sein.“
„Ja ja, da hast du Recht.“
Madison schob die Fersen über den Abgrund. Barbara hörte das Rauschen des Wassers, das unter ihnen aufschäumte. Sie war sich nicht sicher, wie lang das Seil war, aber sie glaubte, dass es nicht bis ganz nach unten reichte. Madison würde ein paar Meter über dem natürlichen Becken mit dem tiefen, kalten Wasser in der Luft hängen bleiben. Man würde es einfach darauf ankommen lassen müssen.
Aber was sollte sie mit J. T. machen?
„Madison, tu’s nicht“, schrie er. „Tu es nicht!“
Er benimmt sich wie ein Baby, dachte Barbara. Daran würden sie noch arbeiten müssen. Es war gut, dass er sah, wie tapfer sich seine Schwester in einer so schwierigen Situation verhielt.
„J. T., hör mir zu.“
Madisons Stimme klang ruhig und bestimmt, und Barbara erwartete, dass sie ihren Bruder zur Ordnung rufen würde. Stattdessen machte sie einen Satz und sprang auf Barbara zu. Sie trat wild um sich, und Barbara fiel rücklings zu Boden. Die Pistole flog in hohem Bogen davon.
„Lauf, J. T., lauf. Hol Mom. Lauf, mach schnell.“
Barbara sprang auf und schob das wie eine Wildkatze kämpfende Mädchen von sich. Sie bekam es kaum zu fassen. „Und ich habe dir vertraut.“
„Mein Bruder ist klüger und schneller als Sie, Sie Miststück!“
Barbara wich zurück. Jetzt erst erkannte sie den wahren Charakter dieser dummen Gans. Ihre Gedanken waren vergiftet. Sie war zu weit gegangen. Mit beiden Händen ergriff sie das Seil und zog heftig daran. Als Madison in Reichweite war, schob sie sie zurück an den Rand des Felsenvorsprungs. Das Mädchen kämpfte wie der Teufel, schlug um sich und trat. Aber Barbara war zu wütend und zu stark, um sich unterkriegen zu lassen.
Pfeilschnell stürzte Madison in die Schlucht hinein. Barbara beobachtete, wie sie sich auszupendeln versuchte, damit sie sich abseilen konnte, aber sie prallte gegen die Felswand und verletzte sich Arme und Schultern. Vor Schmerz schrie sie laut auf.
„Das geschieht dir recht“, rief Barbara ihr nach. Sie sank auf die nasse Erde. Das Seil hatte ihre Handflächen und Handgelenke aufgeschürft, sie schmerzten und bluteten wie nach einem heftigen Tauziehen. Sie war erschöpft. Aber sie musste schnell wieder zu Kräften kommen, um den Jungen suchen zu können.
Mit der Hand tastete sie hinter ihrem Rücken nach der Pistole. Der dichte Regen nahm ihr fast die Sicht.
Lucy stand hinter ihr. Sie hatte Barbaras Waffe in der Hand. Sie war nass bis auf die Haut. „Sie sollten beten, dass meine Tochter nicht ernsthaft verletzt ist.“
Barbara sah die Angst in Lucys Augen. Es war keine Angst um Madison. Sie hatte Angst um sich selbst – und um das, was sie verlieren würde. So, wie sie die Pistole hielt, war es ganz offensichtlich, dass sie nicht wusste, wie man sie benutzen musste. Sie schaute über den Felsrand in den Wasserfall hinunter.
„Mom“, schluchzte Madison, „oh Mom. Gott sei Dank.“
Barbara seufzte. Sie hatte Recht gehabt. Dem Mädchen war nicht zu helfen.
„Bist du verletzt?“ rief Lucy. „Kannst du dich irgendwo festhalten?“
„Mein Arm. Ich glaube, er ist gebrochen.“
Lucy schaute Barbara an, die .38er fest in der Hand. „Warum? Was um Himmels willen hat sie dir getan?“
„Nicht sie“, fauchte Barbara. „Sie.“
„Um Himmels willen“, sagte eine Männerstimme hinter ihnen. Sie schaute auf. Plato, blutüberströmt und dreckverschmiert, lehnte sich
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