Haus der Angst
erschöpft gegen eine Schierlingstanne. „Sie sind doch total übergeschnappt.“
Lucy war sichtlich erleichtert, ihn zu sehen.
Typisch, dachte Barbara. Ein Mann muss sie retten.
Lucy deutete mit dem Kopf auf das Seil, das noch um den Baum gebunden war.
„Madison hängt über den Wasserfällen. Ich muss sie da rausholen. Hast du J. T. gesehen?“
Plato schüttelte den Kopf. „Lucy, bei dir zu Hause ist der Teufel los. Überall laufen Polizisten herum. Wir können ein Rettungsteam kommen lassen, das sie herauszieht.“
„Ruf Rob an. Er weiß am besten, was zu tun ist.“ Sie schaute hinunter zu ihrer Tochter. Der Regen war schwächer geworden; es nieselte nur noch. „Madison, ist das Seil stark genug? Wird es dich halten?“
„Mom, ich kann bald nicht mehr. Mein Arm. Er tut so weh.“
Barbara widerte das Gejammer des Mädchens an. „Ich hätte Sie und Madison besser getötet, als ich die Gelegenheit dazu hatte“, sagte sie zu Plato gewandt.
„Aber Sie haben es nicht getan. Es ist alles in Ordnung, Lucy“, versicherte er leise. „Meine Pistole ist genau auf Miss Allen gerichtet. Sie entkommt uns nicht mehr.“
Lucy legte die .38er neben die Wurzeln der Schierlingstanne. Sie kniete sich auf den regennassen Boden und rutschte vorsichtig bis zur Kante des Felsvorsprungs. Ihr Oberkörper hing halb über dem Abgrund, als sie hinunterschaute, um Madisons Situation zu begutachten.
Es überrascht sie überhaupt nicht, stellte Barbara unbeeindruckt fest. Das war doch alles nur Show.
„Madison.“ Lucy musste sich räuspern. „Hör mir gut zu. Ohne Ausrüstung kann ich nicht runterkommen und dich holen. Ich wäre dir keine Hilfe. Und ich schaffe es auch nicht, dich alleine hochzuziehen. Plato ist zwar bei mir, aber er ist verletzt. Entweder wartest du, bis Rob hier ist, oder du versuchst, ein wenig höher zu kommen. Dann kann ich dir helfen.“
„Ich kann nicht. Mein Arm tut so weh.“
„Was ist mit dem anderen Arm? Benutze den und die Füße. Achte auf Felsvorsprünge, an denen du dich festhalten und den Fuß abstützen kannst. Und bleib ganz ruhig.“
Barbara rümpfte verächtlich die Nase. „Ich wusste, dass Sie zu feige sind, um sie selber zu holen.“
„Wissen Sie, Miss Allen“, begann Plato, während er sich neben sie setzte. Er war über und über mit Blut bedeckt. „Nachdem Sie mich heute schon zwei Mal angeschossen haben, sollten Sie aufpassen, was Sie sagen, damit ich nicht sauer werde. Im Moment können Sie froh sein, dass meine Schmerzen einigermaßen erträglich sind.“
„Sie würden mich nicht anschießen. Sie sind ein Profi. Sie schießen doch nur, um zu töten.“
„Ich bin Rechtshänder. Sie haben mir in den rechten Arm geschossen. Ich weiß nie so recht, wie meine linke Hand so drauf ist. Die Pistole könnte losgehen und eine Kugel in Ihr verdammtes Bein jagen.“
„Leute wie Sie sind abscheulich“, sagte Barbara.
„Da wir gerade von abscheulichen Leuten reden – was hat Ihr Freund Mowery eigentlich vor?“
Barbara schloss den Mund. Sie wünschte, der Regen würde völlig aufhören. Es war entsetzlich kalt geworden.
„So ist es gut“, sagte Lucy, die immer noch halb über dem Felsvorsprung hing. „Einen Schritt nach dem anderen. Ich wünschte bei Gott, ich wäre an deiner Stelle.“
„Sag ihr, sie soll sich vorstellen, der verletzte Arm sei abgeschnitten worden“, riet Plato ihr. „Das habe ich auch gemacht, als ich die Schusswunde im Bein hatte.“
Lucy sah ihn zweifelnd an. „Danke für den Tipp, Plato. Sie schafft’s auch so.“
Barbara spürte, wie die Kälte des Felsens und die Feuchtigkeit der Umgebung in sie eindrangen. Sie verkrampfte sich, um die Kälteschauer abzuwehren und nicht zittern zu müssen. Eine Minute später zog Lucy mit all ihrer Kraft das Seil hoch. Plato nahm die Pistole von der linken in die rechte Hand. Er stöhnte vor Schmerzen, aber so leise, dass man es kaum hören konnte. Vorsichtig ging er zu dem Baum hinüber, ergriff das Seil mit der Linken und unterstützte Lucy, so gut er konnte.
Mit letzter Kraft kletterte Madison über den Felsvorsprung und brach weinend in den Armen ihrer Mutter zusammen. „Ich habe J. T. gesagt, dass er weglaufen soll“, schluchzte sie. „Geht es ihm gut? Oh Gott, das ist alles meine Schuld.“
„Es ist nicht deine Schuld, Madison. Du bist doch erst fünfzehn.“
Plato berührte Lucys Schulter. „Geh. Die Polizisten werden gleich eintreffen. Such deinen Jungen.“
Barbara seufzte. Damit
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