Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus der bösen Lust (German Edition)

Haus der bösen Lust (German Edition)

Titel: Haus der bösen Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
Vom Netzwerk:
Trakts zu ihm herausgeschaut hatte. Das Gesicht hatte neugierig gewirkt, aber vielleicht war es auch nur durch das alte Glas verzerrt gewesen.
    Willkommen im Branch Landing Inn stand auf dem hohen Steingesims zu lesen. In einen Ziegel neben der Tür war in grober Schrift Haupthaus, 1850 eingraviert.
    Weiße Granitblöcke umrahmten eine massive Eingangstür. Da es sich offensichtlich um einen Beherbergungsbetrieb handelte, empfand er es als unnötig zu klopfen, obwohl es einen merkwürdigen Türklopfer gab: ein Messinggesicht mit großen, leeren Augen, jedoch ohne Nase oder Mund. Aus unerfindlichem Grund löste der Klopfer ein sonderbares Gefühl in ihm aus – und als er nach dem Messingknauf griff, stellte er fest, dass auch auf diesem das konturlose Gesicht zu sehen war.
    Dann hätte Collier beinahe aufgeschrien ...
    Eine unsichtbare Hand legte sich auf sein Kreuz, während eine andere die Tür für ihn öffnete.
    »Großer Gott!«
    Eine kleine Frau Anfang dreißig hatte sich ihm lautlos von hinten genähert. Nach dem Schrecken, den sie ihm eingejagt hatte, musterte Collier sie: klein, zierlich, wohlgeformt. Sie lief barfuß und trug einen schlichten Jeanskittel. Das kann kein Gast sein, ging ihm durch den Kopf, bevor er das Namensschild bemerkte: Hallo! Mein Name ist Lottie.
    Collier hob eine Hand an die Brust. »Mann, Sie haben mich ganz schön erschreckt. Ich habe Sie nicht gesehen.«
    Sie lächelte und hielt weiter die Tür für ihn auf.
    »Arbeiten Sie hier?«
    Sie nickte.
    Da sich sein Schrecken mittlerweile gelegt hatte, fiel ihm nun auf, dass zwar ihre Figur außergewöhnlich, ihr Gesicht jedoch nicht besonders hübsch war. Ihre Augen wirkten stumpf, ja sogar schief. Sie lächelte erneut. Ein Schopf ungekämmter, schlammbrauner Haare war auf Nackenhöhe gestutzt worden.
    Der Moment hatte etwas Verwirrendes. Sie stand nur da und hielt wortlos die Tür auf.
    »Danke.«
    Collier betrat einen kleinen, aber überladenen Vorraum mit weiteren Türen aus verwinkeltem Spiegelglas. Der dicke, ovale Vorleger unter seinen Füßen schien handgewebt zu sein.
    »Also, Lottie, habt ihr Zimmer frei?«
    Wieder nickte sie.
    Nicht gerade eine Plaudertasche.
    Ein fröhliches Glockenspiel bimmelte, als sich die nächste Tür vollständig öffnete. Sie betraten einen weitläufigen Eingangssalon, dessen neun Meter hohe Decke Colliers Blick nach oben wandern ließ. Riesige Ölgemälde hingen weit oben hinter dem Empfangsschalter, noch höher darüber befand sich ein langer Treppenflur. Den Hartholzboden bedeckten weitere gemusterte Läufer, wesentlich kunstvoller als jener im Vorraum. Über den offenen Bereich verteilt standen antike Tische, umgeben von Stühlen mit hohen Rückenlehnen. Bücherregale und Vitrinen mit Glasfassaden säumten die Wände.
    Beeindruckend, dachte Collier.
    Halbrunde Treppenhäuser führten zu beiden Seiten des langen Mahagonischalters nach oben, und hinter dem Schalter wies eine Wand mit gebeizten Eichenpilastern handgeschnitzte Blumenmuster auf.
    »Das ist wirklich ein wunderschönes Haus«, meinte Collier zu der jungen Frau.
    Sie nickte.
    Zum Empfangsschalter waren es sechs Meter. Dahinter schaute das Gesicht einer alten Frau auf, ein Lächeln im verrunzelten Gesicht. Vermutlich war sie Mitte sechzig. Gewitterwolkengraue, sehr kurz geschnittene Dauerwellen kräuselten sich um ihren Kopf – eine Frisur, die nur Frauen kurz vor dem Pflegeheimalter für attraktiv hielten. Selbst aus der Ferne konnte Collier die tiefen Gesichtsfalten und die Tränensäcke unter den Augen erkennen. Die schlaffen Wangen und der breite Kiefer gaben den Gesichtszügen beinahe etwas Männliches. Hätte Jack Palance eine Zwillingsschwester ... stünde ich ihr gerade gegenüber, ging es Collier spontan durch den Kopf.
    »Das ist doch kaum zu glauben!«, ertönte ihre kräftige, näselnde Stimme. »Muss wohl Prominentenmonat sein!«
    »Wie bitte?«
    »Ich schwöre, ich habe Sie im Fernsehen gesehen!«
    Collier hasste es, »erkannt« zu werden.
    Die betagten Augen funkelten zwischen verquollenen Lidern. »Erst vor wenigen Wochen hatten wir einen Spieler der New York Yankees hier, und jetzt beehrt uns der Fürst der Biere!«
    »Hallo«, sagte Collier und fühlte sich bereits deprimiert. Nun musste er den Schein wahren. »Justin Collier«, stellte er sich vor und streckte die Hand aus.
    »Ich bin Helen Butler. Willkommen im Branch Landing Inn. Das kleine Ding neben Ihnen ist meine Tochter Lottie. Ich führe den Betrieb, sie sorgt

Weitere Kostenlose Bücher