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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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willen, die er kaum kannte, hatte er in blinder Leidenschaft alles aufgegeben, was ihm wichtig gewesen war. Und nun stand er mit leeren Händen da. Nichts war ihm geblieben als bitterer Selbstvorwurf.
    Nachdem Victor gegangen war, verließen mich auch die anderen, und ich war wieder allein in dem kalten, dunklen Haus. Tausend Gedanken bestürmten mich, während ich über das tragische Schicksal meines Urgroßvaters nachdachte. Am meisten jedoch beschäftigte mich die Frage, wie es kam, daß Victor eine so starke Wirkung auf mich ausübte und daß ich innerlich so verbunden mit ihm war.
    Während ich Victor nach seinem Eintritt ins Zimmer betrachtet, ihn mit den Augen verzehrt hatte wie er Jennifer, hatte ich gespürt, wie in mir sich etwas regte, und ich meine das nicht im übertragenen Sinn. Ich spürte tatsächlich eine Bewegung in meinem Körper, tief unten in der reichen, geheimen Gegend, in der, nehme ich an, wahre Leidenschaft geboren wird. Dort und nicht in meinem Herzen wurde ich zuerst von diesem rätselhaften, uner-reichbaren Mann ergriffen; dort erwachte zum erstenmal etwas, das wohl immer schon dort geschlummert hatte, dessen Existenz ich nur bisher nicht wahrgenommen hatte. Erst nachdem dieser Urfunke entzündet worden war, sprach auch mein Herz wie in zärtlicher, gefühlvoller Antwort.
    Ich hatte dort gestanden und Victor angesehen, der mir so nahe gewesen war, daß ich nur die Hand hätte zu heben brauchen, um ihn zu berühren, und hatte begonnen, ihn zu lieben.
    Es war ein Phänomen, das ich nicht begreifen konnte. Ich mochte fragen und forschen soviel ich wollte, ich kam der Erklärung nicht näher. Wie konnte ich körperliche, sinnliche Liebe zu einem Mann empfinden, der nahezu hundert Jahre tot war
    ? Kam es daher, daß er für mich in jenen Momenten, da das Zeitfenster sich auftat, ein lebender, atmender Mensch war, so real wie Edouard oder William ?
    Wieso war ich so tief ergriffen von ihm und fühlte mich mit solcher Macht zu ihm hingezogen? Lag es daran, daß ich auf eine nicht zu erklärende Weise gezwungen wurde, alles zu fühlen, was er fühlte, seine geheimsten Freuden und Leiden mit ihm zu teilen ? Es konnte keine Antworten geben, denn diese Fragen selbst entsprangen ja einer Situation, die außerhalb der Bereiche von Logik und Verstand lagen. So wenig sich diese Blicke in die Vergangenheit mit den Mitteln menschlicher Vernunft erklären ließen, so wenig erklärbar war meine gefühlsmäßige Verschmelzung mit Victor. Ich hatte die Ausflüge in die Vergangenheit akzeptiert und eingesehen, daß ich sie weder verstehen noch verhindern konnte. Ebenso würde ich jetzt diese Liebe akzeptieren müssen. Aber das fiel mir schwer. Diese starke Gemütsbewegung machte mir angst. Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.
    Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich je Ähnliches empfunden hatte, und fand nichts.
    Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich in dieser kalten, stillen Stunde kurz vor Morgengrauen der erschreckenden Wahrheit ins Gesicht: Ich hatte nie geliebt. Nicht einmal Doug hatte ich geliebt.
    Ich lag im dunklen Wohnzimmer im Haus meiner Großmutter, allein mit mir selbst und der Erinnerung an das, was sich hier vor fast einem Jahrhundert zugetragen hatte, und blickte zum ersten Mal in mich hinein. Einfach war es nicht, da ich den Blick nach innen bisher stets mit Erfolg vermieden hatte. Ich hatte mich in einem Leben bequemer Freundschaften, seichter Zerstreuungen und oberflächlicher Gefühle eingerichtet. Ich hatte viele Freunde und Liebhaber gehabt, aber nur einer dieser Männer hatte einen Eindruck hinterlassen - Doug, dem ich so unrecht getan hatte. Die anderen verschmolzen in meiner Erinnerung zu einer grauen gesichtslosen Masse. Immer war ich vor den tiefen Gefühlen davongelaufen und hatte die Verantwortung einer verbindlichen Beziehung gescheut, und jetzt sah ich mich mit Ereignissen und Gefühlen konfrontiert, über die ich keine Kontrolle hatte. Das war das Schlüsselwort! Kontrolle. In der Vergangenheit hatte ich stets alles unter Kontrolle gehabt. Ich hatte die Regeln aufgestellt, nach denen gespielt wurde. Sie dienten der Abwehr und dem Schutz vor Schmerz und Verletzung. Aber sie hatten auch keine himmelhochjauchzende Freude oder Begeisterung zugelassen. In dem Bemühen, mir Schmerz zu ersparen, hatte ich mich auch der Freuden beraubt. Aber ich hatte diesen Preis angemessen gefunden.
    Diesmal jedoch war ich nicht in Kontrolle. Ich war dem Taumel meiner Gefühle

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