Haus der Erinnerungen
wir haben es kurz danach nachgeholt.«John hielt Victor, der zur Sherryflasche gegriffen hatte, sein Glas hin. »Mach es doch gleich ganz voll, ja? - Danke. Du siehst also, Victor, du bist nicht der einzige Überraschungskünstler in der Familie.«
Johns Lächeln, als er das sagte, gefiel mir nicht. Seine Stimme hatte einen metallischen Unterton. Es war klar, daß er auf Victor eifersüchtig war und glaubte, einen Sieg über ihn davongetragen zu haben.
»Victor«, sagte Jennifer, mit kräftigerer Stimme jetzt, »wir glaubten, Sie würden nie zurückkehren. Wir hatten keine Ahnung.« Seine Augen verrieten nichts von seinen Gefühlen, als er sie ansah. »Ich wußte es ja bis vor vierzehn Tagen selbst nicht. Ich habe mich ganz impulsiv entschieden.«
»Das sieht dir gar nicht ähnlich, Victor«, warf John ein.
»Ach, wenn wir es nur gewußt hätten«, sagte Jennifer und versuchte, ihm mit Blicken mitzuteilen, was sie nicht in Worte zu fassen wagte.
»Was wäre dann gewesen?« Victor leerte sein Glas. »Hättet ihr dann die Trauung bis zu meiner Ankunft aufgeschoben ? Wie aufmerksam von euch. Und wie rücksichtslos von mir, daß ich euch nicht viel früher von meinen Plänen Mitteilung gemacht habe. Aber das konnte ich eben nicht.«
»Aber Victor, laß doch! Hauptsache, du bist zurück!« Harriet faßte seine Hand und drückte sie. Das Strahlen ihrer Augen verriet mir, wie sehr sie ihren großen Bruder vergötterte. Doch von seinen Gefühlen schien sie nichts zu ahnen. »Vater hat sich so gefreut, als dein Brief kam. Du hättest ihn sehen sollen. Er hat richtig gelächelt, Victor. Und er ist jetzt so stolz auf dich. Dein hervorragendes Examen -«
»Danke, Schwesterchen«, sagte er trotz aller Bitterkeit mit Wärme in der Stimme. »Es tut gut zu wissen, daß ich willkommen bin.«
»Und Mutter hat die ganze Nacht geweint, nachdem sie deinen Brief gelesen hatte. Sie konnte sich gar nicht fassen. Sie ist fortgegangen, um eine Gans zu besorgen, Victor. Heute abend gibt es dir zu Ehren ein richtiges Festessen.«
Während Harriet in einem fort plapperte und John sich mit einem frischen Glas Sherry ans Feuer setzte, tauschten Victor und Jennifer einen letzten Blick.
10
Der Abend wird mir ewig als ein Alptraum im Gedächtnis bleiben. Victor war in der Erwartung heimgekehrt, Jennifer ungebunden vorzufinden, und hatte die Träume mitgebracht, die er um seine Liebe zu ihr gesponnen hatte. Nachdem er von ihrer Heirat mit John erfahren hatte, war es ihm nicht möglich, auch nur eine Nacht in dem Haus zu verbringen, in das er sie als seine Frau zu holen gehofft hatte. Er erklärte darum seinen Geschwistern, er hätte ein Zimmer im Gasthaus Horse's Head gemietet. John, Harriet und Jennifer, die von der brennenden Scham über seine Torheit, von seiner Enttäuschung und seiner Bitterkeit nichts ahnten, glaubten ihm, als er sagte, er müsse gehen und dafür sorgen, daß sein Gepäck vom Bahnhof zum Gasthaus gebracht werde. Sie baten ihn alle drei, damit bis nach dem Abendessen zu warten, doch Victor ließ sich nicht erweichen. Er wolle das letzte Tageslicht nutzen, erklärte er, und die Tatsache, daß es im Moment gerade nicht so stark regne.
Ich allein wußte, daß Victor, der energischen Schritts in den Flur hinausging und sich seinen Umhang über die Schultern warf, in den strömenden Regen hinaus mußte, um sich eine Unterkunft zu besorgen, daß er keine Bleibe hatte, daß kein warmes Zimmer mit einem freundlichen Feuer am Ende eines kurzen Wegs auf ihn wartete. Ich allein wußte, warum er gerade jetzt in den peitschenden Regen hinausstürmen und sich den tobenden Elementen preisgeben mußte. Er war zu zornig und zu aufgewühlt, um noch eine Minute länger in diesem kleinen Zimmer zu sitzen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
John erbot sich, ihm einen Wagen zu rufen, aber Victor lehnte ab. Harriet ermahnte ihn, rechtzeitig zum Abendessen zurückzukommen. Jennifer tat gar nichts, stand nur stumm, wie benommen am Kamin, während Victor seinen Hut aufsetzte und zur Haustür ging. Die Hand schon auf dem Knauf, warf er einen letzten Blick zurück, bei dem mir eiskalt wurde. Er war wie eine finstere Vorahnung dessen, was kommen würde.
Im Lauf von vier Jahren hatte Victor Townsend Pessimismus und Mißtrauen gelernt.
Seine Erfahrungen hatten ihn zu einem Mann geformt, dem es längst nicht mehr einfiel, den Silberstreif am Horizont zu suchen, und an diesem Abend hatte er den letzten Schlag empfangen. Um einer Frau
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