Haus der Jugend (German Edition)
die Fantasie formt ein Bild: wir beide in der Küche, gemeinsam Gemüse und Fleisch schneidend, zwanglos über der Arbeit kommunizierend. Das ist die realistischere Hoffnung, zumal er ja als Koch arbeitet. Ich kann mich also nur blamieren.
Im Supermarkt kaufe ich Schweinefilet, Haselnusskrokant, Blutorangen und Rosenkohl. Immer vergewissere ich mich, ob Darius die Dinge mag, die ich in den Einkaufswagen lege. Er nickt jedes Mal. »Ich bin nicht wählerisch.«
An der Kasse frage ich mich, was die Menschen wohl denken. Wahrscheinlich glauben sie, ich hätte meinen Enkel zu Besuch. Noch wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie gar nichts denken.
Wir fahren zu mir. Dieses Mal ist er es, der sich umschaut, seinen Blick über die Einrichtung schweifen lässt, über die Treppe, die nach oben in mein Schlafzimmer und mein Büro führt, über die Garderobe aus Eichenholz, über die Bilder von Miró, meinem Lieblingsmaler, die an der Wand im Flur hängen.
Ich ziehe meinen Mantel aus, Darius trägt ohne zu fragen die abgestellte Einkaufstüte in die Küche.
»Donnerwetter, du bist ja gut ausgestattet.«
»Im Laufe der Jahre sammelt sich einiges an.«
»… wenn man den Platz dazu hat …«
Höre ich Bitterkeit bei ihm?
Ich lege die Einkäufe auf den Tisch, zwei Schneidebretter, Messer. Die Vorstellung gemeinsamen Kochens ist so nah, dass ich sie nicht in Frage stelle. Darius sieht mir zu und fragt: »Sag mal, kann ich bei dir duschen?«
»Natürlich«, antworte ich und hoffe, er bemerkt die bescheuerte Enttäuschung nicht. »Das Bad ist oben, die zweite Tür links.«
»Danke.«
»Handtücher findest du dort im Schrank.« Am liebsten würde ich ihn nach oben begleiten. Vielleicht zöge er sich ja schon um, während ich ihm ein Handtuch herausholte und dem Rasierapparat vorsorglich eine neue Klinge verpasste.
»Stört es dich, wenn ich deine Zahnbürste benutze?«
Wieder reißt er mich aus meiner Fantasie. »Ich habe aber auch noch eine unbenutzte in der Schublade unter dem Spiegel.«
Er kommt zu mir, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und sagt noch einmal »danke«, dann geht er nach oben.
Zum Glück darf ich den Rosenkohl putzen, Schale von einer der Blutorangen reiben, bevor ich die Frucht ausdrücke und mit dem Saft, der Schale und dem Nusskrokant eine Farce zubereite. Der Kuss kam überraschend – erhofft, ersehnt, doch unerwartet.
Kochen ist wie Malen ein Akt konkret werdender Fantasie. Der Umgang mit Farbe und Geschmack, mit Materialien, die man in ihrer Sinnlichkeit entdecken muss und für die immer gilt, keine Kombination zu verdammen, bevor man sie nicht ausprobiert hat. Beides hat mit Liebe zu tun, beides mit Glück und beides wird in besten Ergebnissen oft aus dem Streit der Gefühle geboren, aus Trauer, Schmerz und Verzweiflung, aber auch aus jubelndem Überschwang.
Beides ist Alltag, befriedigt Grundbedürfnisse und wird erst dann zur Kunst, wenn es diesen Alltag einfängt und sich gleichzeitig darüber erhöht.
Darius braucht lange genug. Bevor er fertig ist, bin ich soweit, dass ich nur noch warten kann. Auf den Herd, den Kohl, die Kartoffeln, das Fleisch und auf ihn. Das benutzte Geschirr kann ich nicht spülen, sonst bekäme er nur noch kaltes Wasser. Also decke ich den Tisch, öffne eine Flasche Riesling, zünde ein paar Kerzen an und setze mich an den Tisch. Gern nähme ich mir eine Zigarette aus der Schachtel, die Darius auf den Küchentisch gelegt hat. Ich hatte schon seit Ewigkeiten keinen Appetit darauf. Warum jetzt?
6.
Ich habe Darius bei meinen Spaziergängen nie getroffen. Eine Woche verging, es wurde wieder kälter, die Temperaturen kletterten selten über null Grad und es fiel wieder Schnee.
Da meine Arbeitszeit immer noch abends war, konnte ich den Tag nutzen, zum Baden zu gehen. Die Wohnung der Bergmosers hatte noch kein Bad mit Wanne oder fließend warmem Wasser. So ging ich unregelmäßig, aber einmal die Woche in das Müllersche Volksbad in der Rosenheimer Straße. Es lag von meinem Zimmer aus genau in die entgegengesetzte Richtung, die ich zu Darius gehen musste. Das Tröpferlbad in der Thalkirchener Straße hätte in der richtigen Richtung gelegen. Trotzdem ging ich auch am Freitag, den 21.01.1955 nicht dorthin. Die Sonne strahlte an diesem Tag so durch den Münchner Frost, dass es ein schöner Fußweg war, wenn ich den Dufflecoat ordentlich geschlossen und den Schal gut gewickelt hatte. Ich hatte einen Turnbeutel dabei, gefüllt mit meiner Kulturtasche
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