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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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die Aufnahmeprüfung schaffst, versaust du es. Natürlich bist du ein Versager. Auf ganzer Linie.‹
    Wie Regen aus einem Wolkenbruch fielen sie über mich her, wie die Sintflut überschwemmten sie alles Land, auf dem ich lief. Mit jedem Schritt tötete ich, mit jedem Schritt gebar ich. Kein Auto, keinen Radfahrer, keinen Fußgänger nahm ich wahr. Nicht einmal das Dorf, durch das ich kam, nicht den Weg, nicht die Straße. Ich rannte, bis ich auf etwas prallte, das mich in die Arme nahm, festhielt und mir wie einem kleinen Jungen den Kopf streichelte.
    ›Du bist und bleibst ein Kind. Willst du dich nicht entwickeln?‹
    »Halt, junger Mann. Es sind doch nur Heuschrecken. Die fressen dich nicht.«
    ›Ein Kind.‹
    Aufblicken – langsam in der Welt ankommen wie ein Neugeborenes – das Gesicht des Wolpertingers sehen – ein Mann, mindestens hundertfünfzig Jahre alt.
    »Sie schreien.«
    Die Hand des Wolpertingers im Haar spüren.
    »Ja, sie schreien hässliche Dinge.«
    Stille kehrte ein. Die Heuschrecken verzogen sich nicht, sie verschwanden. Es sah aus, wie Metallstaub auf einem Magnet, vom Pol in eine Richtung gezerrt oder geschoben, wie eine Druckwelle, die das Zentrum um sich räumt. Kreisförmig stoben die Grillen auseinander, wie von einer fremden Macht gelenkt.
    »Alles wieder gut?«
    ›Ein Kind.‹ Ein letzter leiser sich aufbäumender Ton.
    Ich wollte dem Wolpertinger ins Gesicht sehen, doch in den Armen hielt mich eine Bäuerin, rotwangig, mit einem dicken Mantel bekleidet und einem wollenen Kopftuch um das Haar.
    »Ja.«
    »Du soitest a Pausn machn, gscheid essn und schlafn, bevorst moagn weidagehst.«
    Ich nickte, doch ich hatte keinen Plan. Erst jetzt bemerkte ich, dass es längst dunkel geworden war. Noch bevor ich überlegen konnte, wo ich schlafen sollte, ließ die Bäuerin mich los und schubste mich am Rucksack in die Richtung, aus der ich gekommen sein musste. »Du kannst bei uns ibanachtn. Gäste aus ’m Aloisiushaus han aa meine Gäste.«
    Wortlos ließ ich mich dirigieren, zu müde, um danke zu sagen. Mehr, als die Füße voreinander zu setzen, schaffte ich nicht.
    Über einen kleinen Feldweg, gerade breit genug für einen Traktor, kamen wir auf einen kleinen Hof. Die Häuser, Stall, Scheune und Wohnhaus, waren strohgedeckt. Zwischen den Balken des Fachwerks übertünchte vergilbte Farbe das Gemäuer. Auf dem Platz davor befand sich mittig ein Brunnen. Es war niemand zu sehen. Nicht einmal ein Hund, der Wacht hielt, kein Huhn, keine Gans, keine Ente. Das Stalltor stand offen, aber eine Kuh oder ein Schwein konnte ich auch dahinter nicht entdecken.
    »Ziag da d’ Schua aus«, befahl die Bäuerin, als wir das Wohnhaus betraten. Gehorsam bückte ich mich und löste die Schnürsenkel der Wanderstiefel. Wir betraten das Haus durch die Küche. Meine Strümpfe hinterließen feuchte Abdrücke auf den grauen Fliesen, die schnell verdunsteten. In der Mitte der Küche stand ein Tisch für mindestens zehn Personen, aber es stand nur ein Stuhl an der Stirnseite. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Schweinebraten, Knödeln und Weißkraut. »Loss dia’s schmeck’n.« Die Bäuerin verschwand aus der Küche und ließ mich mit dem Essen allein. Zaghaft setzte ich mich auf den einzigen Stuhl. Gegen meine Gewohnheit betete ich zum Dank, bevor ich Messer und Gabel ergriff. Ich traute mich kaum, einen Bissen in den Mund zu stecken, so hungrig ich auch war. Wo kam das Essen her, wer hatte es gekocht, wer aufgefüllt, noch bevor er von meiner Anwesenheit wissen konnte? Keine Spur zeugte in der Küche von dessen Zubereitung.
    Das Fleisch war zart und saftig, die Knödel locker, die Soße würzig und das Kraut hatte die richtige Menge Kümmel. Mit jedem Bissen wuchs mein Mut für den Nächsten, mit jedem Stück Braten kam meine Kraft zurück. Heuschrecken? Was konnten die mir schon anhaben?
    Als ich aufgegessen hatte, kam die Bäuerin zurück in die Küche und fragte, ob ich Nachschlag wollte.
    »Nein.«
    »Hod's dia ned g’schmeckt?«
    »Doch, besten Dank, es war großartig.«
    Die Bäuerin strahlte, stellte mir ohne zu fragen ein Glas Milch auf den Tisch. »So, des wird jetzt trunk’n, des schützt voa de Heischreck’n. Fia de is des verdaute Nahrung.« Ich nickte, hielt die Luft an und schluckte das warme, fettige Getränk hinunter. Es musste gerade gemolken worden sein, auch, wenn ich keine Kuh im Stall gesehen hatte.
    »Danke«, wiederholte ich.
    »Vergelt's Gott.«
    Ich fragte mich nicht, ob sie das Glas

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