Haus der Jugend (German Edition)
verstieß? Hatten nicht die Heuschrecken recht, die mich beschimpften?
Das Haus redete mit mir. Nicht mit dröhnender Stimme in Worten, die seine Mauern erbeben ließen, nicht durch sich aufeinander reibende Ziegel, die Geheimnisse wisperten. Die wären gegen das Konzert der Heuschrecken nicht angekommen. Der Zettel, auf dem ich der Bäuerin meinen Dank geschrieben hatte, lag am nächsten Morgen auf dem Küchentisch der Kaufmannsfamilie, die mich aufgenommen hatte.
»Wir sind nur die Waffen, der Kämpfer bist du«, stand in Sütterlin unter meinen Zeilen. Die Küche war so leer wie die am ersten Tag meiner Wanderung. Die Milch war nicht gerade erst gemolken, sondern gekühlt, das Brot roch warm und klebte vor Frische am Messer. In einer Pfanne standen gebratene Eier mit Speck auf dem Tisch, in einem Tonkrug Erdbeerkonfitüre, auf einem Holzbrett Butter. Doch weder der Hausherr noch die Hausherrin waren da. Wie immer betete ich, bevor ich begann.
Der Zettel lag unter meinem Teller und ich sah ihn erst, als ich das Geschirr zur Spüle trug, um es abzuwaschen.
»Wir sind nur die Waffen, der Kämpfer bist du.«
Was sollte das? Natürlich dachte ich an die Heuschrecken, die mich verfolgten, an die wundersamen Begegnungen, die mir Kraft gaben, aber was für einen Kampf kämpfte ich? War es meiner? Was sollte ich mit dieser Zeile anfangen, was wollte sie mir sagen, was konnte ich darauf antworten?
Nachdem ich das Geschirr sauber und abgetrocknet auf die Anrichte des Küchenschranks gestellt hatte, nahm ich mir einen Stift, wiederholte meinen Dank und schrieb darunter die Fragen: »Welcher Kampf, worum geht es darin?«
Ich schulterte meinen Rucksack, ging in den kalten sonnigen Tag und setzte mich den Beschimpfungen der Heuschrecken aus.
›Wir sind zwar warm und brüderlich, doch warme Brüder sind wir nicht‹
, sangen sie und hüpften in dichten Schwärmen vor mir auf.
›Man ist nicht anders, nur weil man am anderen Ufer steht.‹
Eines der Tiere sprang auf meine Schulter und von dort auf mein Ohr.
›Bekommst du beim Scheißen eigentlich nen Steifen?‹
Ich wischte es mit meiner Hand ab und versuchte, die Gesänge zu ignorieren. Wenn etwas lange genug andauert, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder es zermürbt einen, wie der sprichwörtliche Tropfen den Stein – oder man gewöhnt sich daran und hört es nicht mehr.
Ich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden. Nicht alles in mir hat auf meine Entscheidung gehört.
Am dritten Morgen, ich war wieder bei einem Bauern, hatte abends vor dem Schlafen gehen dort sogar ein Bad nehmen können, lag mein Zettel auf dem Stuhl, als ich mich setzen wollte. Klopfenden Herzens nahm ich ihn auf. Meine Danksagungen standen darauf, die merkwürdige Bemerkung und meine Frage. Doch nicht, wonach ich suchte, nicht, was ich voller Spannung erwartete. Eine Antwort. Der Zettel lag da, wie ich ihn am Morgen zuvor zurückgelassen hatte.
Enttäuscht setzte ich mich an den Tisch, betete und aß. Immer wieder schaute ich auf das Stück Papier. Inbrünstig hoffte ich, wie von Geisterhand geschrieben würden in geschwungenem Sütterlin Worte darauf erscheinen. Ich atmete nicht, mein Herzschlag setzte aus, wenn ich auf den Zettel sah, so als könnte mein Leben ihn erschrecken und die Antwort hinauszögern.
Es geschah nichts.
Die Küche, menschenleer wie die Küchen an den anderen Morgenden, war so still, dass ich nur mein eigenes Kauen, meine Atmung und meinen Herzschlag hörte. Hinter den geschlossenen Fenstern konnte ich die Heuschrecken draußen sehen. Ich brauchte lange, bis ich aufgegessen hatte, der Zettel lenkte mich zu sehr ab. Die Enttäuschung machte mich unruhig, den letzten Bissen noch kauend, warf ich einen weiteren Blick auf das Papier, räumte das Geschirr zusammen und trug es zum Spülbecken. Beim Abwasch trieben mich die Wünsche, schnell wieder auf den Zettel zu sehen und endlich weiterzugehen. Ich wollte in München ankommen, mich von Frau Bergmoser bekochen lassen, die mit mir redete, während ich aß, mich in meinem Zimmer verkriechen und alle Absonderlichkeiten – Heuschrecken und Wolpertinger – aussperren. Endlich wieder ein normales Leben. Von mir aus ohne Darius. Wenn ich erst wieder in München wäre, würde mein Leben sein, wie es war. Ich würde ins Theater gehen, mein Praktikum beenden, ab dem Sommer studieren und aus diesem Albtraum erwachen. Ich musste nur durchhalten.
Beinahe wäre mir vor unkonzentrierter Hektik ein Teller aus der Hand
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