Haus der Jugend (German Edition)
vor den Heuschrecken beschützt, dir zu essen gegeben, einen Platz zum Schlafen. Ist das der Dank?« Meckerndes Lachen aus Schaffneruniform, Haut, die mit jedem Satz faltiger wurde, älter, mindestens 150 Jahre alt.
»Was haben Sie mit ihm gemacht?«
»Gar nichts. Er hat sich entschlossen zu gehen. Er wusste, dass du dich gegen ihn entscheiden würdest.« Kein Lachen mehr. Eine Stimme wie schleifendes Metall. »Noch kannst du dich entscheiden.«
»Der Preis.« Darius. Wie eine Warnung blinkte sein Gesicht schwarz-weiß über meinem Kopf, sprang in mich hinein wie in meinem Traum. »Er hat dir den Preis nicht genannt.
Wo war Darius?
Meckerndes Lachen. »Willst du wirklich zu deiner Mutter, zu Theodore, zu Menschen, die dich nicht mögen, nicht akzeptieren, was du bist? Wer mag schon verdorbene Sünder? Wir mögen dich, Siegfried Wrobel.« Meckerndes Lachen.
Ein Polizist, der sich durch die Menschen drängte, sie zur Seite bat, schwarze Uniform, silbergraue Knöpfe, weißer Hut. Bald würde er vor mir stehen.
»Nein!« Kreischen, anbrüllen, Wut hinausschleudern. »Verzieh dich!«
Meckerndes Lachen. »Ist das dein letztes Wort? Willst du Darius nie wiedersehen?« Meckerndes Lachen.
»Und wenn ich mein Leben lang kämpfen muss. Ja. Die Menschen werden mich mögen, sie werden mich akzeptieren und ich werde Darius wiederfinden!«
Schwarze Uniform, silbergraue Knöpfe, weißer Hut. Ein Arm rüttelte an mir. Graue, sanfte Stimme. »Junger Mann, Sie können hier nicht schlafen.«
Wo waren die Menschen, wo der Schaffner?
»Entschuldigung, mein Zug …«
»Haben Sie eine Karte?«
»Nein, ich muss noch eine holen.«
»In Ordnung. Tun Sie das.«
Ein Lächeln. Keine Verhaftung. Hatte ich geträumt? Der Bahnhof war fast menschenleer. Grauer Stein, graues Gleis, graues Metall, graue Fenster vor geschlossenen Geschäften. Kurzes Zusammenzucken, als ich hinter einer Scheibe einen Bahnbeamten sah.
»Sie wünschen?« Graues Lächeln.
»Einmal nach Altfraunhofen. Nur Hinfahrt.«
Rot-graue Polster, gelbe Wände, Farbe. Eine knappe Stunde Zugfahrt bis kurz nach Mitternacht, Landshut, Bahnhof. Warten. Der Bus kam erst am Morgen.
Im Bahnhof war es still und windgeschützt. Auf einer Bank konnte ich mich ausruhen, ohne von jemandem vertrieben zu werden, ohne in ein Haus eingeladen und versorgt zu werden. Es war kalt und ungemütlich wie an jedem Februarmorgen. Es war real, die Kälte störte mich, die Einsamkeit störte mich, der Verlust der Zukunft drückte mir auf die Seele, aber es waren meine Kälte, meine Einsamkeit und mein Verlust. Wo sollte ich hin? Die gleiche Frage, die ich mir seit Tagen stellte. Zu meiner Mutter. Erzählen, was passiert ist, auf Verständnis hoffen, auf Unterstützung. Nichts an meiner Situation hatte sich geändert. Doch plötzlich fühlte sie sich wirklich an.
Wo war Darius?
Eine Sehnsucht, die ich aufgegeben hatte, so laut hatte ich nein geschrien. Eine Sicherheit, die mich begleiten würde, so tief hatte ich ihn in mich aufgenommen. Ich würde ihn nicht suchen müssen, ich würde ihn finden. Irgendwann.
Sechs Stunden warten für zwanzig Minuten Fahrt. Vermutlich wäre ich wandernd früher da gewesen, hätte meine Mutter mitten in der Nacht aus dem Bett geholt. Kurz hatte ich überlegt, als ich am Bahnhof fror. Doch ich mochte nicht mehr laufen, meine Füße taten weh.
Um halb sieben fuhr der Bus. Der Schaffner nickte müde, als ich ihm meinen Fahrschein zeigte. Die meisten fuhren um diese Uhrzeit wohl in die andere Richtung, in die Stadt hinein, um zur Arbeit oder zur Schule zu gelangen.
Der Bus war geheizt, die wohlige Wärme machte mich müde, aber die Fahrt war zu kurz, um die Augen zu schließen. Kaum fühlte ich mich wohl, musste ich aussteigen. Es war nicht weit zur Buchenstraße. Den Weg hätte ich auch im Schlaf gefunden. Ich freute mich auf meine Mutter, auf Theodore, auch wenn ich sie ja erst Weihnachten gesehen hatte. Trotzdem zögerte ich, ging langsam, überlegte, ob sie wohl schon wach waren, ob ich nicht besser bis mittags wartete. Käme ich so früh am Morgen, wüssten sie sofort, dass etwas nicht stimmte, überfielen mich mit Fragen, machten mir vielleicht die Vorwürfe, die ich mir selbst die ganze Zeit machte.
Ich mir selbst? Waren es nicht die Heuschrecken und Schlangen, auf perfide Art auch der Wolpertinger gewesen?
Die hatte ich vergessen. Die letzten Tage lagen im Nebel, als wäre ich fortwährend betrunken gewesen. Ich war hinausgeschmissen worden,
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