Haus der Lügen - 8
zumeist auf taube Ohren. Zum einen waren die jungen Monarchen des Reiches bei ihren Untertanen bemerkenswert beliebt (außer bei Tempelgetreuen natürlich; die hätten Cayleb und Sharleyan am liebsten tot gesehen, aber man konnte ja nicht alles haben). Zum anderen verstanden die meisten Untertanen, dass die Regenten eines Kaiserreichs, das gegen siebzig oder achtzig Prozent der restlichen Welt um sein Überleben kämpfte, hin und wieder einfach gezwungen waren, Zeitpläne zu ändern. Drittens – aus selbiger Notwendigkeit heraus, Zeitpläne den Gegebenheiten anpassen zu müssen – hatte Sharleyan ja auch drei zusätzliche Monate in Tellesberg verbracht, bevor sie nach Cherayth aufgebrochen war.
Der wahre Grund dafür allerdings, dass die wenigsten Tellesberger sich beschweren wollten, war die offizielle Verlautbarung, Kaiserin Sharleyan sei nicht nur schwanger, sondern der Erbe des kaiserlichen Throns solle in Tellesberg zur Welt kommen. Das Kind würde also nicht nur ein Charisianer sein, sondern sogar ein gebürtiger Alt- Charisianer. Zweifellos war die Kaiserfamilie selbst entschieden zu taktvoll, diesen Umstand anzusprechen. Aber jeder, dessen Meinung zählte, würde es wissen . Daher auch der ungestüme Jubel in den Hunderten kleiner Boote, als die Kaiserin von Charis die Segel einholte und Trossen zu den Galeeren hinübergeworfen wurden, um das große Schiff zum Kai zu schleppen.
Ha! Nimm das , Cherayth!
»Wissen Sie, wenn Ihre Alt-Charisianer nicht bald damit aufhören, sich so diebisch zu freuen, führt das noch zu einem Bürgerkrieg«, bemerkte Rayjhis Yowance belustigt.
Graf Gray Harbor saß am Fußende der langen Tafel, dem Kaiser gegenüber. Die Kaiserin saß zu Caylebs Rechten, Bischof Hainryk Waignair zu seiner Linken. Dessen Tischnachbar wiederum war Bynzhamyn Raice. Mit Rahzhyr Mahklyn, der zur Rechten der Kaiserin saß, war die Abendgesellschaft vollständig.
Vor allem Wave Thunder und Gray Harbor erschien sie damit erstaunlich unvollständig. Es fehlte hinter Seiner Majestät ganz eindeutig Merlin Athrawes.
»Ach, gewiss nicht, Rayjhis«, entgegnete Waignair auf Gray Harbors Behauptung gelassen. Er war beinahe achtzig Jahre alt, mit schneeweißem Haar und braunen Augen, die von Lachfältchen gesäumt waren. Er war schlank, ja sogar zierlich gebaut, ging gebückt, und auf den Handrücken traten die Adern auffallend hervor – das alles zusammengenommen ließ ihn regelrecht zerbrechlich wirken. Doch er erfreute sich bester Gesundheit, und auch sein Verstand war immer noch mehr als rege.
»Ach, nicht, Mein Lord?« Gray Harbor lächelte. »Haben Sie vielleicht nicht das Gleiche gehört wie ich?«
»Ich habe ebenso viel diebische Freude – Verzeihung, ich meine natürlich: ausgelassene Feierstimmung – gehört wie Sie«, gab Waignair zurück. »Aber ich bin mir sicher, dass die Chisholmianer Ihrer Durchlaucht keinerlei Anstoß daran nehmen werden. Schließlich«, nun war es an ihm zu lächeln, »mag der Erbe zwar hier in Tellesberg zur Welt kommen, aber wo wurde das Kind empfangen? «
Gray Harbors Augen weiteten sich. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und starrte den Bischof einen Augenblick lang nur an. Dann schüttelte er den Kopf.
»Wissen Sie, dieser Gedanke ist mir noch gar nicht gekommen! Ach, du meine Güte! Darüber könnten sich ja nun wieder die Chisholmianer diebisch freuen, oder nicht?«
»Sie tun es sogar schon«, bemerkte Cayleb in resignierendem Tonfall. »Sogar ganz offen. Die Rede ist von geheimnisvollen Ingredienzien, die sich nur in chisholmianischem Wasser und in chisholmianischer Luft befänden.« Er grinste schief. »Ich weiß, dass jeder im ganzen Reich berechtigtes Interesse daran hat, die Erbfolge gesichert zu wissen. Ich kann es sogar nachempfinden. Nur komme ich mir langsam bei dem ganzen Gerede wie ein Zuchthengst vor.«
»Ach, und was bin dann ich, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Sharleyan und legte die Hand auf ihren beachtlich prallen Bauch.
»Die andere Hälfte der Gleichung?«, schlug Cayleb mit Unschuldsmiene vor. Seine Gemahlin gab ihm mit der freien Hand einen Klaps auf die Finger.
»Merken Sie jetzt, was ich hier Tag für Tag erdulden muss?«, fragte sie in die Runde. Die Antwort war Gelächter.
»Eigentlich, Eure Durchlaucht«, meinte Gray Harbor wieder ernst geworden, »ist es ein Glücksfall, dass Euer Kind in Chisholm empfangen wurde und im Alten Charis zur Welt kommen wird. Bei allem schuldigen Respekt für die Gefühle Seiner
Weitere Kostenlose Bücher