Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus der Lügen - 8

Haus der Lügen - 8

Titel: Haus der Lügen - 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
Vom Netzwerk:
Kleinkindern habe man Gnade vor Recht ergehen lassen, wie es offiziell hieß. Sie wurden nun von anderen Angehörigen des Vikariats aufgezogen. Kinder, die älter als vier Jahre waren – die wenigen, die verschont blieben – hatte man in Klöster gesteckt (die meisten davon in Harchong, der Zitadelle der Orthodoxie). Die dortigen Traditionen bestanden aus strengster Askese und härtester Disziplin.
    Clyntahn hatte sich auch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, sich die wenigen charisianischen Überlebenden des Ferayd-Massakers vorzunehmen. Allzu viele waren es nicht gewesen – genau sieben. Jeder Einzelne war ein körperliches Wrack, bereit wirklich alles zu gestehen. Sie wussten, dass der Feuertod auf sie wartete. Aber sie wollten nur den Schrecken hinter sich bringen, in den sich ihr Leben verwandelt hatte. Und so hatten sie gestanden: jede nur erdenkliche Ketzerei, Perversion und Missetat. Sie hatten verkündet, sie würden Shan-wei anbeten, die Göttin des Hasses, und hätten im Pakt mit ihr wissentlich ihre Seele an die Dunkelheit verkauft.
    Endlich hatte der Tempel seine ›Belege‹ dafür, welche Kreise die charisianische Abtrünnigkeit bereits gezogen habe, und für die ketzerische Abscheulichkeit der Kirche von Charis, die sich selbst dem Bösen verkauft habe. Es wirkte fast wie ein unvermeidbarer Nachsatz, dass der Großvikar, wie schon lange erwartet, zum Heiligen Krieg aufrief. Niemand hatte seine Entscheidung in Frage gestellt, ebenso wie niemand in den Tempel-Landen die Stimme gegen Clyntahn und die ›Vierer-Gruppe‹ erhob. Jetzt nicht mehr. Es war niemand mehr übrig, der es gewagt hätte, die Stimme zu erheben.
    Dennoch gab es Gerüchte, die im Flüsterton und hinter vorgehaltener Hand Verbreitung fanden: Der Rundumschlag des Großinquisitors sei nicht ganz so vollständig gewesen, wie er es zweifellos beabsichtigt habe. Familien mehrerer verurteilter Vikare seien auf geheimnisvolle Weise verschwunden, und für Dutzende von Bischöfen und Erzbischöfen gelte das Gleiche. Bislang wusste niemand, wie viele den Häschern der Inquisition entkommen waren. Dass es überhaupt jemand geschafft hatte, nagte an der Vorstellung von Clyntahns vermeintlicher Allmacht und eiserner Faust.
    Natürlich gab es auch Gerüchte, die mehr im Sinne der Inquisition waren – das wundersame Verschwinden besagter Familien sei ein Beweis für Shan-weis Einfluss, ein Beleg, dass sie tatsächlich im Dienste der finsteren Herrin gestanden hätten. Dass nur die Mutter aller Lügen es schaffen könne, jemanden dem Griff der Inquisition zu entreißen. Keiner der Gäste an der kaiserlichen Tafel in Tellesberg zweifelte daran, wer für diese Gerüchte verantwortlich war. Es bezweifelte auch niemand, dass man sie eigens zurechtgelegt hatte, um Zeugenaussagen dieser Flüchtlinge zu entkräften und zu diskreditieren, sollten sie je sicheres Gebiet erreichen – also das Kaiserreich Charis.
    »Vergebt mir!«, sagte Waignair nach einer kurzen Pause leise. »Eigentlich wollten wir heute Abend feiern. Ich bitte um Verzeihung dafür, die Stimmung getrübt zu haben.«
    »Mein Lord, nicht Sie sind für diesen Stimmungsumschwung verantwortlich«, entgegnete Sharleyan. »Wir alle wissen doch, wer das in Wahrheit ist. Niemand von uns kann sich den Ereignissen in Zion so leicht entziehen.«
    »Das dürfen wir auch nicht«, setzte Cayleb rau hinzu. Sie alle blickten ihn an, und der Kaiser von Charis schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Wir schulden es Clyntahns Opfern, sie niemals zu vergessen. Es geht in unserem Kampf gegen die ›Vierer-Gruppe‹ nicht nur um das, was diese Männer uns angetan haben. Es geht um das, was sie all jenen angetan haben, die es gewagt haben, sich ihnen in den Weg zu stellen!«
    »Ja, Euer Majestät, damit habt Ihr Recht.« Betrübt schüttelte auch Waignair den Kopf. »Aus den Gemeinden heißt es immer wieder, die Gläubigen kämen und fragten, wie selbst die ›Vierer-Gruppe‹ derartige Dinge im Namen Gottes verüben könne. Wir haben versucht, Trost zu spenden. Aber die Wahrheit ist, dass niemand von uns das zu begreifen vermag.« Noch einmal schüttelte er den Kopf. »Ach, vom Verstande her begreifen wir das schon! Aber emotional? Mit unseren Herzen, in denen unser Glaube an die Güte und die Liebe Gottes wohnt? Nein!«
    »Weil Sie an Gottes Güte und Liebe glauben , Hainryk«, versetzte Gray Harbor. »Ich weiß nicht, an was Trynair und Maigwair wirklich glauben – falls sie überhaupt an etwas glauben!

Weitere Kostenlose Bücher