Haus der Lügen - 8
Schreibtisch.
Die vier Männer – vor allem aber Raisahndo und Rohsail – sahen sehr erschöpft aus. Zusätzlich litt Rohsail ganz offenkundig Schmerzen, auch wenn er sich redlich Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen. Als er sich gesetzt hatte, war er mit dem linken Ellenbogen gegen die Armlehne des Sessels gestoßen, und die Finger seiner linken Hand hatten sich vor Schmerz sofort zusammengekrampft – mehr als seine Finger waren wegen der Armschlinge auch nicht zu sehen.
Doch in den düsteren Augen des Captains stand mehr zu lesen als nur Erschöpfung oder Schmerz. Graf Thirsk faltete die auf die Tischplatte gelegten Hände.
»Ich habe Ihre Berichte gelesen, und auch die der Ersten Offiziere – in Ihrem Falle, Captain Krahl, den Bericht Ihres diensttuenden Ersten Offiziers. Natürlich sind mir dabei gewisse Inkonsistenzen aufgefallen. Angesichts der Verwirrung, die sich bei Seeschlachten nun einmal nicht vermeiden lässt, ist es nicht erstaunlich, dass Sie nicht alle ganz genau das Gleiche beobachtet haben. Trotzdem ergibt sich aus den Berichten ein klares Bild. Entsprechend habe ich auch Bischof Staiphan und Herzog Thorast informiert.«
Er schwieg einen Augenblick. Die Spannung in der Kajüte hätte man greifen können.
»Ich habe sie ebenfalls informiert«, fuhr er nach kurzer Pause fort, »dass ich Ihr Handeln in jeder Hinsicht gutheiße. Dass ich sogar der Ansicht bin, dass Sie und Ihre Besatzungen dem Königreich Dohlar alle Ehre gemacht haben.«
Keiner der Offiziere bewegte auch nur einen Muskel. Dennoch wirkte es, als hätten alle vier gleichzeitig erleichtert ausgeatmet. Der Graf gestattete sich ein kleines Lächeln. Dann beugte er sich ein wenig vor.
»Verstehen Sie mich nicht falsch, meine Herren! Es wäre mir deutlich lieber gewesen, wenn Sie einen oder zwei der Charisianer ausgeschaltet hätten. Oder wenn wir nicht fünf Schiffe aus dem Konvoi und beide Geleit-Galeeren verloren hätten.« Sein Lächeln wurde ein wenig schmaler. »Ganz zu schweigen von dieser Kleinigkeit mit der Prinz von Dohlar .«
Keiner der Männer, die vor ihm saßen, erwiderte ein Wort. Was den Grafen nicht sonderlich erstaunte.
»Diese meine Meinung wird Sie gewiss nicht überraschen«, fuhr er fort. »Auch Sie selbst dürften kaum zu einer anderen Ansicht gelangt sein. Aber bei einer Seeschlacht kann man eben nicht einfach mit den Fingern schnippen und von Zauberhand einen Sieg erringen. Gewiss, Sie waren in der Überzahl, und ich will nicht einmal so tun, als wäre mir nicht diesbezüglich die eine oder andere Bemerkung zu Ohren gekommen – allesamt von Personen, die nicht selbst vor Ort waren, wie ich anmerken möchte. Jeden habe ich in der Folge daran erinnert, dass Ihre Schiffe, meine Herren, deutlich kleiner waren, Sie über leichtere Geschütze verfügten und man in Charis für einen Einsatz fernab der Heimat nur die erfahrensten Kapitäne ausgewählt haben dürfte. Mit anderen Worten, meine Herren: Schon bei Ihrer ersten Schlacht standen sie den Besten der Besten gegenüber!
Natürlich sollten wir uns nicht an die Vorstellung gewöhnen, wir wären immer auf eine zahlenmäßige Überlegenheit im Verhältnis zwei zu eins angewiesen. Meines Erachtens würde sich dergleichen auch nicht immer bewerkstelligen lassen. Aber wenn man bedenkt, wie wenig Erfahrung Ihre Besatzungen und Ihre Offiziere bislang haben sammeln können und wie neu für uns alle diese Form des Kampfes auf See ist, haben Sie sich außerordentlich gut geschlagen. Zum ersten Mal hat ein Geschwader der Charisianer nicht sein Ziel erreicht. Ja, Charis hat sogar ein Schiff verloren! Ihre Verluste, meine Herren – insbesondere die an Bord Ihres Schiffes, Captain Dahrand – waren schlimm. Aber Sie haben keine vernichtende Niederlage einstecken müssen. Sie und Ihre Besatzungen haben von Anfang bis Ende gut gekämpft. Nirgends sehe ich Anzeichen von Defätismus. Das ist etwas völlig anderes als dieser völlige Zusammenbruch der Truppenmoral, als wir zum ersten Mal auf charisianische Galeonen gestoßen sind.«
Thirsk entblößte die Zähne zu einem wölfischen Grinsen.
»Glauben Sie mir, meine Herren: was ich in der Klippenstraße erlebt habe, als Cayleb mitten in der Nacht und im Herzen eines Sturms auf uns zugesegelt kam, war ganz genau das: ein völliger Zusammenbruch der Truppenmoral! Ich habe erlebt, wie Schiffe unter meinem Oberkommando gezielt auf Grund liefen, bloß um sich nicht den Charisianern in der Schlacht stellen zu müssen.
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