Haus der Lügen - 8
muss, brauche ich genügend Nährstoffe, um allmählich echten Appetit zu entwickeln.«
Cayleb lachte in sich hinein. Dann zeichnete er mit der Spitze des kleinen Fingers zärtlich die Lippen seiner Tochter nach.
»Sie ist so klein «, flüsterte er. »Sie passt ja auf eine Handfläche, Merlin!«
»Ich weiß. Aber sie wird wachsen. Und mit Euch als Vater und Sharley als Mutter werdet ihr mit dieser Hand voll Kind schon bald alle Hände voll zu tun haben! Und so klein, wie sie jetzt ist, wird sie wirklich nicht lange bleiben – nicht bei diesen Eltern« Auch Merlin lachte nun leise. Dann wurde seine Stimme sehr sanft. »Aber ich kenne Euch, Cayleb. Wie groß auch immer sie werden mag, sie wird immer klein genug bleiben, um ganz und gar in Euer Herz zu passen.«
»Oh ja«, gab Kaiser Cayleb Zhan Haarahld Bryahn Ahrmahk im Flüsterton zurück, »oh ja!«
August,
im Jahr Gottes 894
.I.
HMS Dancer , Harchong-See
»Das gefällt mir überhaupt nicht, Sir«, sagte Captain Raif Mahgail leise. Oder zumindest so leise das eben möglich war, während der Wind wie eine Dampforgel durch die Takelage von HMS Dancer heulte und die Wellen tosten und rauschten. Die Dancer kämpfte darum, auf Kurs zur Klaueninsel zu bleiben. Unter Großsegeln und gerefften Marssegeln blieb sie hart am Wind.
»Ja, warum denn wohl nicht?«, fragte Sir Gwylym Manthyr ironisch nach.
Gemeinsam standen sie auf dem Achterdeck der Dancer und blickten nach Westen zum Himmel hinauf. Den ganzen Tag über hatte das Schiff gegen einen zunehmend auffrischenden Wind gekreuzt. Irgendwann jedoch hatte der Wind gedreht, und am späten Nachmittag wehte er dann fast geradewegs in den Golf von Dohlar hinein, der Harchong-See genau gegenüber. Jetzt, gegen Abend, war er fast schon zum Sturm angewachsen, und die Dancer stampfte schwer, als zwölf Fuß hohe Wellen steuerbord gegen ihren Bug krachten.
Es war ganz offenkundig, dass es noch ein wenig dauern würde, bis sie die Insel erreichte.
Die Sonne ging unter. Aber niemand an Bord war in der Lage, das zu beobachten. Am westlichen Horizont hatten sich gewaltige Wolken zusammengeballt, die wie ein indigo-beschienener Kontinent wirkten. In feurigem Rot glommen die Bergkuppen jenes fremdartigen Landes, die sich einem kupferfarbenen Himmel entgegenreckten. Mit schlechtem Wetter hatte Manthyr schon reichlich Erfahrung sammeln dürfen, und jeder Instinkt seines Körper schrie ihm aus Leibeskräften Warnungen zu.
Das , dachte er, ist eine wahrhaftig unschöne Situation.
Zusammen mit den elf Galeonen unter seinem Kommando hätte er eigentlich in der Bucht des Elends mit dem Rest des Geschwaders zusammentreffen sollen. Der Plan lautete, Proviant aufzunehmen und sich neu zu gruppieren. Der Furcht erregende Graf Thirsk hatte bestürzend stetig Fortschritte beim Aufbau seiner Flotte erzielt. Was Manthyr an Chaos angerichtet hatte, hatte Dohlar nicht aufgehalten. Es wurde Zeit, eine Rückkehr in das Alte Königreich Charis zumindest in Erwägung zu ziehen. Auch wenn Manthyr diese Aussicht wenig erfreulich schien, würde er eine Entscheidung fällen müssen, sobald er wieder sämtliche Schiffe an einem Ort zusammengezogen hätte. Im Augenblick sah es allerdings nicht danach aus, als würde er seine Flotte so rasch wieder vereinigen können, wie er ursprünglich gedacht hatte. Seine elf Schiffe befanden sich sechshundert Meilen vor der Klaueninsel, fast genau auf halber Strecke zwischen den harchongesischen Provinzen Tiegelkamp und Queiroz in der Mündung des Golfs von Dohlar. Der Wind stand so, wie er nun einmal stand, und so wie das Wetter sich allmählich auswuchs, würde Manthyr mit seinen Schiffen wohl auch kaum weiter nach Westen gelangen.
Zumindest nicht, bis das Wetter wieder aufklarte.
Gut daran war allein, dass sie es sich durchaus leisten konnten, gute siebzehnhundert Meilen weit nach Osten getrieben zu werden. Denn erst dann würden sie Shweis Westküste zu nahe kommen. Unschön war hingegen, dass sie, wenn der Wind noch weiter drehte, zur Küste von Tiegelkamp gedrängt würden. Damit bliebe ihnen deutlich weniger Spielraum, bis sie sich vor einer Leeküste wiederfänden. Das Schlimmste war: selbst wenn der Wind nicht wieder zurückdrehte, brachte sie jede Meile, die sie nach Osten trieben, weiter von der Klaueninsel fort ... und dem Grafen Thirsk entgegen. Manthyr wusste nicht genau, was Thirsk im Augenblick im Schilde führte. Egal, was es wäre, es würde Manthyr nicht gefallen. Laut den Fischern aus
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