Haus der Lügen - 8
entfernt. Also: warum freust du dich nicht, hier zu sein?
Nun gab es Momente, in denen sich Lywys Gardynyr, seines Zeichens Graf Thirsk, ernstlich fragte, ob die Kirche von Charis nicht deutlich besser als Mutter Kirche verstanden hatte, was Gott von den Menschen verlangte. Oder zumindest besser als die ›Vierer-Gruppe‹. Dieser Gedanke – keiner Menschenseele gegenüber je ausgesprochen! – war noch deutlich stärker und vergiftender geworden, nachdem Zhaspahr Clyntahn das Vikariat so gnadenlos gesäubert und anschließend alle rechtgläubigen Kinder Gottes ganz formal zum Heiligen Krieg aufgerufen hatte. Es ging um mehr als jemals zuvor. Thirsk wollte nicht auf der falschen Seite stehen. Er wollte nicht über die Möglichkeit nachdenken, er diene mit dem Schwert der Finsternis, nicht etwa dem Licht. Aber er war nun einmal, wer er eben war – ein Sohn von Mutter Kirche, ein dohlaranischer Aristokrat, ein Vasall König Rahnylds und ein Admiral der Royal Dohlaran Navy. Kirche und Königreich aber befanden sich nun einmal im Krieg mit dem Kaiserreich Charis.
Daran hätte Thirsk selbst dann nichts ändern können, wenn er es gewollt hätte. Und: wann immer er an die Felsnadel und die Klippenstraße dachte ... und an das Ultimatum, das Prinz Cayleb ihm an jenem Morgen nach der Schlacht in der Klippenstraße gestellt hatte ..., wollte Thirsk auch gar nichts daran ändern.
Nein , dachte er, nahm die Pfeife aus dem Mund und stopfte mit der Daumenspitze den Tabak ein wenig fester. Ob ich mich jetzt freue hier zu sein oder nicht: ausnahmsweise mal ein paar charisianische Galeonen zu Klump schießen ... der Gedanke hat doch schon was, oder?
Er klemmte sich die Pfeife wieder zwischen die Zähne. Dann hielt er ein kleines Stückchen harziges Holz in die Flamme der Kompasslaterne und setzte den Tabak erneut in Brand. Thirsk paffte, bis die Pfeife anständig zog, und warf den Fidibus über die Heckreling. Wie eine winzige Sternschnuppe segelte das Holzstückchen im hohen Bogen zu den Wellen hinab und erlosch. Noch einmal ließ Thirsk den Blick über das Lichtermeer seiner Flotte schweifen, nickte zufrieden, und ging unter Deck.
.III.
HMS Dancer , Golf von Dohlar
Es gibt Momente , dachte Gwylym Manthyr, in denen es viel befriedigender wäre, sich geirrt zu haben . Zweifellos hätte sein Ruf als unfehlbarer Wetterprophet darunter gelitten. Aber das hätte Manthyr doch deutlich dem vorgezogen, was er jetzt durchleiden musste: den vielleicht schlimmsten Sturm, den er je auf hoher See erlebt hatte.
Die purpurn-schwarzen Wolken, die bei Sonnenuntergang heraufgezogen waren, waren unerbittlich vorgerückt, und der Wind hatte sich von einem schrillen Heulen in ein wahnwitziges Kreischen gesteigert. Wie Manthyr befürchtet hatte, war es den Galeonen in diesem Sturm unmöglich, auf ihrem Kurs zur Klaueninsel zu bleiben. Sie hatten sich gezwungen gesehen, unter Vor- und Hauptstagsturmsegeln und ausgebaumten Haupttopsegeln beizuliegen. Nur aus einem Gefühl heraus hatte Manthyr angeordnet, die Royal- und die Großbramstenge niederholen zu lassen, und jetzt war er froh, so entschieden zu haben.
Mit beiden Händen hielt Manthyr sich an der Reling des Achterdecks fest, eine Rettungsleine fest um die Brust geschnürt, und starrte zum Himmel hinauf. Trotz lebenslanger Erfahrung mit der See erfüllte ihn dieses brodelnde, in dunklem Indigoblau dräuende Inferno mit Ehrfurcht. Immer wieder zuckten Blitze durch die dunklen Wolken, explodierten in langen, gezackten Linien wie Langhornes Rakurai zwischen Schöpfung und Hölle. Trotz Sturmgeheul und hoher Wellen, die in den Rumpf krachten, war jeder Donnerschlag deutlich zu vernehmen. Die Wellen erreichten dreißig Fuß und mehr, mit großen, weißen Schaumkronen, die im Wind zerstoben wie leuchtende Explosionen. Die Wucht dieser Wellen war unbeschreiblich. Sie donnerten in die Schiffe, gegen deren Knochen und Sehnen, und der eiskalte Regen fiel so heftig und dicht, dass er Manthyr sogar den Geschmack des Salzwassers von den Lippen wusch. Wie nadelgespickte Fäuste prasselte Regen gegen triefnasses Ölzeug. Manthyr konnte nur drei weitere seiner Schiffe ausmachen, trotz der gleißenden Helligkeit der blauweißen Blitze – alle anderen waren in Regen, Gischt und gewaltigen Wellen seinen Blicken verborgen.
Es war erschreckend, und doch zugleich auch der belebendste Moment in Manthyrs Leben. Der Admiral verzog die Lippen zu einem herausfordernden Grinsen, während seine Hände sich noch
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