Haus der Lügen - 8
untergegangen; Dunkelheit hatte sich über die prächtigen Gärten des Palasts gelegt. Das Einzige, was die völlige Stille durchbrach, war das Ticken der großen Standuhr in der Ecke des Raumes. Kronprinzessin Alahnah schlief ruhig und friedlich in ihrer Korbwiege; ihre Mutter saß dicht neben ihr. Aber es würde nicht mehr lange dauern, bis die kleine Thronerbin wieder erwachte und nach der nächsten Mahlzeit verlangte.
Merlin Athrawes war froh darüber. Sie alle brauchten unbedingt die Versicherung von Hoffnung und Wachstum, die ein neues Leben schenkte. Gerade in diesem Moment brauchten sie alle hier es dringender denn je.
»Ich hätte darauf bestehen sollen, mehr Schiffe auszusenden«, klagte High Admiral Lock Island sich selbst über den Kommunikator von seinem weit entfernten Flaggschiff aus an.
»Wir hätten nichts gehabt, was wir hätten aussenden können , Bryahn«, erwiderte Domynyk Staynair ebenso leise. »Zu dem Zeitpunkt noch nicht.«
»Abgesehen davon hätte es auch kaum einen Unterschied gemacht«, warf Cayleb ein. »In dieser Situation nicht. Und es ist ja nun auch nicht so, als hätte sich Gwylym Fehler geleistet. Das Problem ist nur, dass sich Thirsk auch keine geleistet hat.«
»Das, und dieser Sturm«, bekräftigte Merlin. Er subvokalisierte über sein eingebautes Kom, während er vor der Tür der Bibliothek wachte. »Ohne den Sturm hätte er, wäre er auf Thirsk getroffen, alle elf Schiffe zusammenziehen und ein Rückzugsgefecht bis zur Klaueninsel führen können. Oder er wäre den Dohlaranern einfach davongesegelt.«
»Es war der Sturm, eindeutig!« Cayleb nickte. »Gegen Harchongesen oder, sagen wir mal, Desnairianer hätte das keine Rolle gespielt – weil sie eben nicht auf hoher See gewesen wären, als der Orkan aufzog.« Sein Nicken ging in ein Kopfschütteln über. »Wir alle haben doch gewusst, dass Thirsk unser gefährlichster Gegner auf See ist. Dass er ein so gutes Verhältnis zu Maik hat, macht ihn nur noch gefährlicher. Schließlich schützt ihn das vor seinen politischen Gegnern. Aber wir haben schon immer gewusst, dass Thirsk nicht die Fehler macht, die sich der Rest der so genannten Flottenkommandeure ganz unweigerlich leisten wird.«
»Im Augenblick ist es nur ein schwacher Trost, die Treffsicherheit unserer Prognosen bestätigt zu sehen«, bemerkte Lock Island bitter. Wieder einmal musste Merlin ihm voll und ganz Recht geben.
Die Dasher und die Destruction hatten entkommen können, weil sich Gwylym Manthyr den anrückenden Dohlaranern zum Kampf gestellt hatte – und das, obwohl die beiden sich sogar etwas hatten zurückfallen lassen, um die Talisman zu schützen. Caitahno Raisahndo hatte begriffen, dass keiner seiner Gefährten ihn unterstützen könnte ... und dass seine vier Galeonen es nicht mit drei eigens für die Seeschlacht konstruierten charisianische Kriegsgaleonen aufnehmen könnten. Also hatte er beigedreht und sich dem allgemeinen Angriff auf Manthyrs Schlachtreihe angeschlagener Schiffe angeschlossen.
Tatsächlich war der einzige Fehler, den sich Thirsk bei diesem Gefecht geleistet hatte – wenn man hier überhaupt von einem Fehler sprechen konnte –, dass sich alle seine Kapitäne auf Manthyrs Kiellinie gestürzt hatten. Es fehlte an Ordnung und Geschlossenheit, als alle diese Schiffe sich dicht an dicht drängten, um bei der Vernichtung der Charisianer mitmischen zu dürfen. Dadurch hatten sie den drei Schiffen, die den Rückzug angetreten hatten, die Flucht ermöglicht. Die dohlaranischen Schiffe hatten Manthyrs kurze Kiellinie derart eng einschlossen, dass sie einander ins Gehege gekommen waren. So war etwas, das eigentlich die methodische Zerstörung einer hoffnungslos unterlegenen Streitmacht werden sollte, in Chaos ausgeartet.
Thirsks Entscheidung, zu einer ›Großen Hetzjagd‹ aufzurufen, war zweifellos genau richtig gewesen – zugleich war sie jedoch auch der Grund für jenes Chaos. Bei diesem Befehl konnte jedes Schiff eigenständig die Verfolgung aufnehmen. Der Zusammenhalt der Flotte aber war nur gewährleistet, wenn sich alle der Geschwindigkeit des langsamsten Schiffes anpassten. Thirsks Flaggschiff war zudem zu weit hinter die schnelleren Schiffe zurückgefallen, um nach Beginn der Schlacht noch taktische Befehle erteilen zu können. Es hatte Versuche von Thirsks Divisionskommandeuren in diese Richtung gegeben. Allerdings waren die meisten von ihnen mit den Aufgaben, die mit ihrem Kommando einhergingen, noch zu wenig vertraut, um
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