Haus der roten Dämonen
fragte Jan beunruhigt, während er zu Jaroslav hinrobbte, immer im Sichtschutz der Mauer.
»Eine Vision. Ich hatte ihn doch gebeten …«, antwortete Julia und kroch ebenfalls zu dem Scholaren hin, um seinen rechten Arm festzuhalten, der wie ein Mühlwerk gegen die verwitterten Steine schlug. Sie redete still auf ihn ein, doch der Anfall ging nicht vorüber. Er warf den Kopf hin und her und murmelte unverständliches Zeug.
Jan schien es, als würde sich Jaroslavs Geist immer stärker in den Netzen der Vision verfangen und hinuntergezogen werden in die Finsternis ewiger geistiger Umnachtung. Während sich Julia um den Studenten kümmerte, beobachtete Jan die Umgebung, um nicht von einem Angriff überrascht zu werden.
»Wie lange noch?«, flüsterte er Julia zu, die den Kopf des Scholaren auf ihre Knie genommen hatte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Er spricht nicht. Sonst sagt er immer etwas und kann sich danach an nichts
erinnern. Diesmal ist es anders. Ganz anders. Er ist so … still!«
Offenbar war sie ebenso besorgt um Jaroslav wie er. Wenn der Scholar nicht mehr in die Wirklichkeit zurückfand, war ihre einzige Hoffnung dahin, Messer Arcimboldo zu finden. Er wünschte sich, über irgendwelche der Fähigkeiten zu verfügen, die Rabbi Löw besaß, nur um dem allen ein Ende bereiten zu können.
Der Lärm der beiden Dämonen wurde unerträglich. Die fliegende Pantherchimäre mit ihrem Natternkopf kreiste niedrig über den Wohnhäusern. Ihre Flügel streiften die Giebel und rissen Ziegel und Mauerspitzen herunter. Ein Regen von Mauerbrocken prasselte und krachte fortwährend auf die Straße. Niemand wagte sich mehr vor die Tür. Selbst die viel gepriesene Leibwache des Kaisers ließ sich nicht sehen. Prag war regelrecht entvölkert.
Erst als der Scholar aufhörte zu stöhnen und sich seine verzerrten Gesichtszüge langsam zu entspannen begannen, fiel Jan die eigentlich entscheidende Veränderung auf.
»Kithara ist weg!«, rief er. Er sprang auf, rannte in die Gasse hinein, sah auf die Straße hinaus, kehrte zurück, lief kurz den Hang empor, duckte sich, als die Chimäre erneut anflog und ihre Lederflügel ihn beim Wendemanöver beinahe vom Hang wischten. Er ließ sich rechtzeitig wieder hinter das Mäuerchen fallen. »Kithara ist tatsächlich weg!«, wiederholte er. »Wir hätten ihm nicht trauen dürfen.«
Jaroslav schlug die Augen auf. Ein matter Glanz lag darauf wie ein Gazeschleier. Er schien sich zuerst vergewissern zu müssen, wo er sich befand. Dann sah er das Gesicht Julias über sich. Zuerst runzelte er die Stirn, dann lächelte er.
»Ihr seid also noch da«, sagte Jaroslav. Man hörte ihm die Erschöpfung an. Er hauchte seine Worte.
»Wohin sollten wir gegangen sein?«, fragte Jan schroff.
Jaroslav lächelte nur dazu. Sein Mund verzog sich. »Ich habe einen bitteren Geschmack im Mund. Einen Schluck Bier hat wohl keiner von Euch?«
Das Gebrüll des Leu, das selbst das Mäuerchen vor ihnen erzittern ließ, erübrigte eine Antwort.
»Was hast du gesehen?«, fragte Julia. »Du hast doch etwas gesehen, oder?«
Jaroslav nickte. Er löste sich aus Julias Schoß, stützte sich auf und lehnte sich gegen die Mauer. Für einen kurzen Moment wirkte er wie ein alter Mann. Die Strapazen der Vision hatten sich tief um seinen Mund eingegraben. Jan vermutete, dass ihn jede Zukunftsschau altern ließ. Alle Magier hatten neben ihren besonderen Fähigkeiten auch eine Art Einschränkung. Nur die mächtigsten Zauberer und Alchemisten vermochten mit ihrer Magie lange zu haushalten und lebten dank ihrer oft Jahrhunderte. Alle die anderen, und zu diesen zählte offenbar Jaroslav, wurden von ihrer Magie aufgezehrt. Sie konnten sie nicht nur gebrauchen, sondern sie wurden von ihr verbraucht.
Jaroslav benötigte eine ganze Zeit, bis er sprechen konnte. »Er sitzt auf einem Stuhl und friert«, sagte er.
»Wer?«, drängte Julia.
»Dieser Messer Arcimboldo. Auf einem Stuhl in der Kälte.«
»Weiter?« Julias Ungeduld war spürbar. »Wo kann Contrario ihn versteckt haben?«
»Was weiter? Der Raum ist rund und mit etwas ausgefüllt – ich konnte es nicht genau erkennen. Es hingen Stricke in dem Raum, als wäre damit etwas angebunden. Es sind lose Seile, die durch die Decke führen.«
Jaroslav schloss die Augen, als könnte er von der Innenseite der Lider ablesen, was er gesehen hatte.
»War’s das schon?«, fragte Jan, der nicht glauben konnte, dass das alles gewesen sein sollte. »Mehr nicht?« Julia
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