Haus der roten Dämonen
verborgen hatte, war mit einem Mal völlig verschwunden.
»Contrario hat das Höhlenbild gefunden und vernichtet«, sagte Jan. »Ich habe einmal gesehen, wie Messer Arcimboldo ein Bild zum Fenster hinausgeworfen hat. Es ist zerbrochen – und auf dem Bild war eine kleine Schlangenechse zu sehen gewesen, ähnlich der, die mich im Hühnerstall von Julias Vater angegriffen hat. Ich bin ihr seither
nicht wieder begegnet. Auch die Chimäre im Vladislav-Saal ist verschwunden, nachdem Contrario die Leinwand mit einem Schwamm abgewaschen hat.« Während er redete und sich hinter die Steinmauer drückte, suchten seine Augen die Umgebung ab. Doch keiner der drei Köpfe des Leu ließ sich blicken.
»Wo, verdammt noch mal, ist das Vieh?«
Jan sah Julia an, die eben derart geflucht hatte. Dann grinste er. »Du wirst mir immer ähnlicher!«, sagte er.
Julia verzog das Gesicht, zuckte jedoch zusammen, als das dreifache Gebrüll des Leu erneut über die Kleinseite hinwegjagte.
»Er ist unten am Fluss.« Jaroslav war zu ihnen hergekrochen und deutete in Richtung der Karlsbrücke.
Dann verdunkelte sich der Himmel. Erschrocken blickten sie ins Blau hinauf und sahen ein Wesen, das ihren schlimmsten Albträumen entsprungen zu sein schien. Es sah aus wie ein fliegender Panther mit den Schwingen einer Fledermaus und dem Kopf und dem vielzahnigen Gebiss einer Natter. »Wieder eine Chimäre!«, flüsterte Jan.
Langsam kreiste sie über der Kleinseite und stieß fauchende Geräusche aus. Jan schätzte ihre Größe auf die des Leu. Damit war sie dem Leu durchaus ebenbürtig – und ebendiesen schien sie im Blick zu haben, denn plötzlich wandte sie sich der Moldau zu, blieb mit schlagenden Flügeln in der Luft stehen und fauchte in Richtung der Brücke. Die Schwingen waren gewaltig und verursachten ein pfeifendes Sausen und eben jetzt ein Klatschen, das weithin zu hören war.
»Ich hatte recht!«, sagte Julia.
»Womit?«, fragte Jan, der sich den Kopf zermarterte, woher dieses Vieh nun wieder kam.
»Sie werden kämpfen«, sagte plötzlich eine Stimme neben
ihnen. Es war Kithara, der sich zu ihnen gesellt hatte. »Sie provozieren sich gegenseitig.«
Jan lehnte sich mit dem Rücken gegen die Mauer und blickte um sich. Er suchte nach den Wesen Arcimboldos. Doch außer Kithara war keines mehr zu sehen.
»Wo sind die anderen?«, fragte Jan.
»Ein Tier nach dem anderen ist verschwunden«, antwortete Kithara. »Bis auf mich.«
Offenbar hatte Contrario-Buntfinger die Bildervorlagen entdeckt und alle vernichtet.
Jan lehnte sich mit dem Rücken gegen die Mauer. Er musste nachdenken. Sein Leben war auf einmal so verwirrend, wie es bislang nie gewesen war. Statt geradlinig und klar zu verlaufen, schlug es Haken und schlang Schleifen in einem irritierenden Ausmaß. Nur einer konnte ihm aus diesem Labyrinth der Bedeutungen und Gefahren heraushelfen: Messer Arcimboldo. Außerdem hatte er noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Was wusste er über seine Mutter und seine Herkunft?
Jan spürte die Berührung von Fingern auf seinem Arm. Julia hatte sich neben ihn gesetzt. Er nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. Sie ließ es zu und schmiegte sich an seine Seite, was ihn mutiger werden ließ. Falls der Leu sie beide zu fassen bekam, wollte er wenigstens einmal ihre Haut gespürt haben. Schüchtern beugte er sich vor und gab ihr einen Kuss auf den Nacken. Er konnte beobachten, wie sie dabei die Augen schloss.
»In was sind wir da nur hineingeraten?«, sagte sie und ihre Stimme klang keineswegs mehr sicher und selbstbewusst. Sie war zu einem Mädchen geworden, das sich fürchtete und das sich einer Zukunft ausgeliefert sah, die sie kaum beeinflussen konnte. Da er selbst auch die Hosen gestrichen voll hatte, bewunderte er an ihr, wie ruhig sie dennoch
blieb. Angst war keine Schande. Man musste ihr nur begegnen, und er war froh, sie neben sich zu haben. Offenbar dachte Julia dasselbe, denn sie rückte noch ein wenig näher an ihn heran.
»Ich weiß auch nicht, wohin das alles führen wird, Julia. Ich weiß nur, dass wir alles versuchen müssen, diesem Teufel Contrario das Handwerk zu legen. Dazu brauchen wir die Hilfe von Messer Arcimboldo. Folglich müssen wir ihn suchen.«
»Und wo?«
Neben ihnen stöhnte Jaroslav. Julia begriff als Erste, was mit ihm los war. Er lag in die Ecke zwischen Boden und Mauer geklemmt, als wolle er darin verschwinden, zuckte mit nach oben verdrehten Augen, keuchte und klapperte mit den Zähnen.
»Was hat er?«,
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