Haus der roten Dämonen
Teyn-Kirche.«
Silbern schimmernde Augen musterten Jan. Ihm gefielen diese Augen nicht, weil sie nie verrieten, ob das Tier ihn betrachtete oder an ihm vorbei oder in ihn hinein schaute.
Kithara hob eine Pfote ans Maul und begann, sie abzulecken.
25
Die Bedrohung im Turm
J ulia und Jan rannten, als wäre der Teufel hinter ihnen her – und beinahe war es ja so, denn sie sahen die Chimäre bereits wieder heransegeln. Sie stach aus den am Himmel sich emportürmenden Wolken, die ein nahendes Gewitter verkündeten.
»Schneller!«, keuchte Jan, der Julia bei der Hand genommen hatte und sie mehr zog, als dass sie selbst lief. »Wenn wir nicht drüben unter dem Altstädter Brückenturm sind, bevor das Vieh hier aufkreuzt, landen wir in seinem Magen.«
Julia hatte nicht mehr den Atem, etwas zu antworten. Sie
fühlte ihre Beine nicht mehr, und wenn nicht Jan an ihr gezogen hätte, wäre sie einfach stehen geblieben und hätte sich fallen lassen, egal was oder wer auf die Brücke zukam. Doch dann huschten sie durch das Tor des Turms, der die Brücke zur Kleinseite hin abschloss. Hinter dem Torturm lag zwischen Straße und Mauer ein Ablaufgraben. Zu dem bogen sie scharf rechts ab und ließen sich einfach in den Graben hineinfallen.
Hinter ihnen rauschten die Lederflügel heran, mit drei, vier flappenden Bewegungen ließ sich die Pantherchimäre auf der Brücke nieder und besetzte den wichtigen Übergang. Es krachte und splitterte hinter ihnen auf der Brücke, als reiße das Vieh Tor und Wehrbauten ein, während sich die ersten heftigen Regenschauer wie ein Schleier über die Stadt legten und den Fluss stumpf aussehen ließen.
Jan, der sich an die Mauer lehnte, japste atemlos, und Julia selbst ging es nicht anders. Ihr Gesichtsfeld war so klein geworden, dass sie nur noch ihre Hände sehen konnte. Drum herum war alles schwarz und unscharf. Nur die Regentropfen auf ihrer Haut spürte sie wie kleine Schläge.
»Danke«, murmelte sie, doch sie konnte kein wirkliches Gefühl entwickeln, dazu war sie zu erschöpft.
»Na, alles frisch und munter?«, maunzte eine Stimme an ihrem Ohr. Julia brauchte eine ganze Zeit, bis ihr einfiel, dass für Kithara so ein Rennen eher eine Kleinigkeit war und ihn wohl kaum außer Atem bringen würde. Sein Fell wirkte nass und an einer Stelle regelrecht durchfeuchtet. Immer wieder leckte der Kater darüber, ohne dass sich etwas änderte.
»Lass mich … Atem holen«, keuchte Julia noch, als Jan sie wieder auf die Beine zog. »Ohne dich hätte ich es niemals geschafft.« Sie lehnte sich schwer gegen ihn und er stützte sie tapfer.
»Wir müssen weiter. Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Wenn Contrario sich erst einmal zum Oberhaupt der Stadt aufgeschwungen hat, wird uns diese Stadt suchen. Ihre Bürger werden uns finden und ausliefern, glaub mir. Es gibt immer Menschen, denen es Freude bereitet, sich den Mächtigen anzudienen.«
Julia nickte, noch immer betäubt von der Atemnot. »Gehen wir«, schnaufte sie und ließ sich vorwärtsziehen. Sie hing an Jan wie ein Handkarren.
Die Chimäre verfolgte sie nicht. Jan berichtete Julia auf dem Weg zum Hauptmarkt mit dem Stadtbrunnen, dass die Bestie hinter ihnen aus Wut ein ganzes Fuhrwerk mitsamt seinen Insassen in die Moldau geschleudert habe.
Sie schlichen die Karlsgasse, den alten Krönungsweg entlang hinauf zum Hauptplatz. Überall standen Grüppchen von Menschen herum, die sie nicht beachteten. Nur wenn der Blick auf Kithara fiel und der Kater die Neugierigen mit seinen fluoreszierenden Augen musterte, sahen die Leute ihnen nach und flüsterten hinter vorgehaltener Hand etwas. Sie wurden jedoch in Ruhe gelassen.
Nur einmal zischte Kithara und drängte sie dazu, in einer Einfahrt zu einem Handwerkerbetrieb zu verschwinden. Sie standen gedrängt hinter dem hölzernen Tor, als vor ihnen auf der Gasse ein hundegroßes Wesen vorübertappte: breiter, rotfarbener Tigerkopf, schmale Hüfte, mit dem wiegenden, die Kraft zügelnden Gang einer Raubkatze und dem typischen Klacken scharfer Krallen. Auch seine Augen schimmerten in der öligen Art und Weise, die für Chimären typisch war.
»Was war das?«, flüsterte Jan.
»Contrarios Wachhunde«, fauchte Kithara. »Es müssen mindestens ein Dutzend sein. Sie durchkämmen die Stadt. Ich bin bereits zwei von ihnen begegnet. Wenig erfreulich.«
Julia schluckte. Jan hatte demnach recht, sie wurden bereits gesucht. Als das Tier vorüber war, wagten sie sich aus der Toreinfahrt und hinaus auf die
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