Haus der roten Dämonen
sie am Hinaufsteigen hindern wollte oder nicht.
»Der Eingang liegt rechts um die Ecke. Eine kleine metallene Tür an der Rückwand.« Kithara löste sich von der Gruppe und trat auf das Wesen zu, das ihn wahrnahm, als er es anfauchte. Tatsächlich ließ das Tier sich vom Zugang weglocken.
»Los. Wir steigen zu den Türmen hinauf.«
Julia mochte es nicht, wenn andere für sie dachten und Entscheidungen trafen. Sie war alt und reif genug, das für sich selbst zu tun. Aber sie hatte keine Schwierigkeiten, Jans Anweisungen zu folgen. In seiner Stimme, in seinem ganzen Verhalten lag eine Sicherheit, die ihr imponierte. Sie nickte nur und folgte Jan zur rechten hinteren Wand. Dort war tatsächlich eine Tür eingelassen und Jan drückte dagegen. Doch nichts rührte sich. Julia behielt den Bären im Blick, während sich Jan um die Tür kümmerte. Er drückte und schob, doch die aus schweren Eichenbohlen gezimmerte und mit Metallbändern verkleidete Tür bewegte sich keinen Zoll weit von der Stelle.
Der Bär wurde nervös und ließ ein Brummen hören, das in der Kirche hallte, als würde Geröll beiseitegeschafft. Von den brüchigen Mauern rieselte leicht der Kalkputz. Julia war neben Jan getreten, fasste den Türgriff der Pforte und zog daran. Der Durchschlupf öffnete sich ohne Mühe. »Ziehen, nicht drücken!«, erklärte Julia und schlüpfte hinein. Im
Stillen musste sie lachen. Selbst Helden waren nicht unfehlbar.
Sofort empfing sie eine Wendeltreppe, die in die Höhe führte. Von oben fiel eisige Luft durch den Schacht und blies ihnen kalten Atem ins Gesicht.
Jan folgte Julia. Sie hörten noch das Kreischen, mit dem sich Kithara dem Bären in den Weg warf, der jetzt wohl zum Angriff übergegangen war. Mit einem missmutigen Brummen hatte dieser ihren Einstieg zu den Türmen begleitet.
Hastig stieg Julia auf der Wendeltreppe nach oben. An einem der schmalen Lichtdurchlässe blieb sie stehen und wartete auf Jan. Sie hatte einen Entschluss gefasst, der möglichst sofort in die Tat umgesetzt werden musste. Sie drehte sich zu ihm um und Jan blieb verblüfft vor ihr stehen. Er hob den Kopf und wollte etwas sagen, doch Julia hielt ihm den Finger vor den Mund.
»Ich weiß nicht, wie das alles ausgeht«, flüsterte sie. Sie blickte in seine Augen, die sie verblüfft ansahen. Und noch etwas anderes lag in seinem Blick. Jedenfalls hoffte sie es.
»Es wird gut gehen«, versicherte Jan ihr. »Wir befreien Messer Arcimboldo und dann …«
Wieder berührte Julia mit ihrem Zeigefinger seinen Mund, diesmal ließ sie ihn dort liegen. Jan verstummte.
»Ich will dir wenigstens einmal sagen …«, sie hielt inne, weil sie bemerkte, wie plump alles war, was sie sagen wollte. Sie fühlte auch, wie sie rot anlief, und dankte diesem Turmaufgang dafür, dass seine Düsternis dieses Missgeschick verbarg. »Ach Gott«, murmelte sie, »es ist … so schwer.«
Plötzlich durchfuhr sie ein heißer Schrecken. Jan küsste ihren Finger, den sie auf seine Lippen gelegt hatte.
»Unendlich schwer!«, sagte Jan. Seine Hände umfassten ihre Hüfte.
Julia stand eine Stufe über ihm und sein Kopf reichte ihr bis zur Brust. Jan zog sie langsam zu sich her. Julia ahnte, was kommen würde. Sie wollte sich zuerst sträuben, doch sie selbst hatte diesen Weg eingeschlagen, jetzt musste, jetzt wollte sie ihn zu Ende gehen.
»Ich will nicht, dass du … ich muss dir sagen …« Julia hätte beinahe mit dem Fuß aufgestampft, weil sie es nicht fertigbrachte, das zu sagen, was sie sagen wollte. Dabei wusste sie gar nicht wirklich, was sie ihm mitteilen wollte. Sie wusste nur, dass sie Jan mochte, sehr mochte, dass sie ihm nahe sein wollte – und dass sie ihn nicht verlieren wollte in diesem ganzen Trubel und den Gefahren, die sich um sie herum auftürmten.
Einem raschen Entschluss folgend, beugte sie sich einfach zu Jan herunter, schloss die Augen und suchte seine Lippen hinter ihrem Finger. Alles ging wie von selbst. Jan nahm sie in die Arme. Er erwiderte ihren Kuss. Der Kuss war kurz und schüchtern und ließ dennoch ihr Herz rasen. Ihre Lippen trennten sich. Die seinen waren trocken und rissig gewesen. Doch Julia wollte nicht, dass es endete. Sie stieg die eine Stufe hinunter, drängte sich an Jan, der sie auffing, und erneut fanden sich ihre Lippen. Diesmal länger. Diesmal blieben ihre Münder nicht geschlossen. Sie öffneten sich, Julia spürte Jans Zähne, fühlte seine Zunge an ihren Lippen.
Wann es endete, konnte Julia nicht mehr sagen.
Weitere Kostenlose Bücher