Haus der roten Dämonen
einen Dialekt benutzte, der dem Jungen wenig bekannt war. Dann
schlug die Tür und Contrario war in dem Raum neben dem seinen verschwunden.
Jan war jetzt hellwach. Er konnte nicht mehr einschlafen. Das seltsame Tier, das dem Mond entgegengeflogen war, der Streit der beiden Männer, all das hatte ihn aufgewühlt und neugierig gemacht. Er wartete eine ganze Weile, bis er das Gefühl hatte, alles im Haus habe sich beruhigt, dann griff er nach der Türklinke. Im Finstern war es nicht leicht, sich zu orientieren, so fasste er mehrmals daneben.
Er suchte den Rahmen, dann den Türspalt und strich mit den Fingern daran entlang. Doch ein Griff existierte nicht. Mit einem Mal fuhr ihm ein Schreck in die Glieder. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er Contrario-Buntfinger nur eine Außenklinke niederdrücken sehen. Innen war ihm keine aufgefallen. Konnte man das Zimmer womöglich nur von außen öffnen? Das würde das Gitter erklären. Doch hier stockte Jan. Als er eben aus dem Fenster gesehen hatte, war das Gitter nicht vorhanden gewesen. Als hätte es nie existiert. Aber es konnten doch nicht einfach Bauteile verschwinden und auftauchen, wie sie wollten.
Wie der Blitz fuhr die Erinnerung in ihn, dass die Haustüre ebenfalls keine Klinke hatte. In wilder Wut stampfte Jan auf – es musste eine Türklinke geben! Das hatten Türen so an sich. Entschlossen griff er in die Dunkelheit hinein – und da war die Klinke, als wäre sie eben erst aus dem Rahmen gewachsen.
Jan erschrak derart, dass er beinahe vergessen hätte, die Klinke zu drücken. Geistesgegenwärtig hielt er sie fest und dann ging alles sehr schnell. Er öffnete die Tür, schlich nach draußen und stand im Vorraum des Hauses. Schräg rechts von ihm lief die Treppe in den ersten Stock hinauf. Unwiderstehlich wurde er von der Treppe angezogen. Er musste in den Raum über ihm und nachschauen, ob sich das, was er
eben noch zu träumen geglaubt hatte, tatsächlich dort oben abspielte. Standen Messer Arcimboldo und Contrario vor einer alchemistischen Apparatur und hatten sie womöglich wirklich den Teufel beschworen?
3
Die Warnung
J ulia wollte an der Tür vorübergehen, doch ihre Neugier war größer als ihre Furcht. Sie lief lautstark vorbei, verhielt dann den Schritt und schlich auf Zehenspitzen zurück. Sie wusste, wie sehr ihr Vater missbilligte, was sie jetzt gleich tun würde. Sie wusste auch, dass der Scholar, dem Vater das Zimmer hinter der Tür vermietet hatte, ihre Anwesenheit vor der Tür zu spüren schien. Dennoch konnte sie sich nicht zurückhalten. Julia bückte sich und spähte durchs Schlüsselloch.
Sie brauchte einen Augenblick, bis sie sich an die Perspektive gewöhnt hatte. Tatsächlich saß der Student über seinen Büchern und raufte sich die Haare, während er irgendwelche Formeln stumm mitlas oder halblaut vor sich hin murmelte. Allein dass der Scholar in den Büchern blättern durfte, rief ihren Neid hervor. Es waren ehrwürdige Schriften in Latein oder Griechisch oder in Runenschrift, die er immer vor sich liegen hatte und aus denen er sich selbst halblaut murmelnd vorlas. Eingeschlagen waren sie in dicke Lederhäute, die so steif waren, dass man manchmal sein ganzes Körpergewicht einsetzen musste, um die Seiten aufzudrücken. Daneben gab es aber auch dünnere Kladden, die Mitschriften irgendwelcher Mitschüler des Studenten.
Sie beneidete ihren Untermieter, der lesen und schreiben konnte und sogar fremde Sprachen beherrschte, während sie selbst es nicht einmal in der hiesigen Sprache zu einer gewissen Fertigkeit brachte. Bestimmt würde der Scholar irgendwann in die Goldene Gasse hinauf abwandern, sobald sich dort oben wieder einer dieser Wahnsinnigen in die Luft gesprengt oder selbst vergiftet hatte. Das konnte rasch geschehen. Er war gebildet, er war belesen – und er beherrschte Magie. Sie konnte beobachten, wie er die Hand ausstreckte und die Feder, die vor dem Tintenfass lag, sich zuerst in die Tinte tunkte, dann sich selbst abstreifte und schließlich in seine Hand schwebte. Dabei sah der Scholar nicht einmal auf. Der Kaiser liebte solche Eigenschaften. Außerdem sah der junge Student unverschämt gut aus mit seinem schmalen Gesicht, den beinahe schwarzen Augen und dem kleinen Bärtchen am Kinn, über dessen Ähnlichkeit mit dem Bart ihres Ziegenbocks im hinteren Garten sie immer wieder lachen musste. Auch besaß er die Gabe, so herzzerreißend mitleidig zu schauen, dass einem das Herz weich wurde und der Geldbeutel beinahe
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