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Haus der roten Dämonen

Titel: Haus der roten Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Dempf
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aufgeschlagen hatte. Jetzt erst sah Julia, dass es sich um ein Lebewesen handelte, das sich im Stein abgedrückt hatte, eine Art Schnecke. »Euer Vater hat es nicht verhindert?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Und Großvater ist so schwach, dass er das Bewusstsein verloren hat.«
    Der Mund des Studenten öffnete und schloss sich lautlos. Er fluchte unhörbar. »Und weiter?«, drängte er Julia. »Ihr seid nicht bei mir, um mir nur das zu erzählen.«
    Julias Augen weiteten sich. So unbeholfen dieser Jaroslav wirkte, so weitsichtig war er. »Der Kerl hat das Blut mitgenommen. Sonst schüttet er das Blut immer auf die Straße, diesmal hat er es in eine Phiole gefüllt und …«
    »Er hat was? Das Blut mitgenommen?« Eine Hand fuhr dem Studenten durch die Haare, die ohnehin in alle Richtungen abstanden, weil er sie ständig durcheinanderbrachte, wenn er am Schreibtisch saß. »Wartet. Wartet einen Augenblick, ich hab’s gleich.« Jaroslav begann, in den Unterlagen zu wühlen, doch er schien auf dem Schreibtisch nicht zu finden, was er suchte. Dann trat er ans Bücherregal und suchte, mit zittrigem Finger die Rücken der Werke entlanggleitend, nach einem bestimmten Buch. Endlich wurde er in der untersten Reihe fündig. Es war eine der schmalen Kladden, die als Mitschriften alter Vorlesungen kursierten.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Julia unsicher. Seine
zittrige Nervosität steckte sie an. Doch Jaroslav schüttelte nur den Kopf. Er musste sich konzentrieren. Murmelnd blätterte er Seite um Seite durch und las dabei die lateinischen Begriffe, die er fand, halblaut vor sich hin. Sie schienen ihm jedoch allesamt nicht zu genügen. Julia platzte beinahe vor Neugier. Was trieb den Scholaren dazu, so hektisch in den Büchern zu wühlen? Buchwissen war staubiges Wissen.
    Plötzlich hielt er inne. »Hier steht es!« Mit spitzem Finger deutete er auf eine Stelle.
    »Was steht dort?«, hakte Julia nach.
    Der Scholar las langsam und mit deutlichen Mundbewegungen, jedoch stumm. Kein Wort kam über seine Lippen. Dann schluckte er.
    »Wie lange ist es her, dass der Quacksalber hier war?«, fragte Jaroslav.
    »Er ist vor Kurzem gegangen. Vielleicht … vor einer halben Stunde.« Sie sah Jaroslav mit großen Augen an. So ernst und gefasst hatte sie ihn noch nie erlebt. Verärgert war er oft oder jähzornig oder übermütig, aber noch nie so wie jetzt.
    »Geht zu Eurem Großvater. Rasch. Verabschiedet Euch von ihm – solange er noch lebt.« Jaroslav nickte und wies sie mit einer Handbewegung aus dem Zimmer.
    »Großvater schläft nur«, entgegnete Julia, fühlte jedoch, wie wenig sie von diesem Satz selbst überzeugt war. »Woher wollt Ihr wissen, dass er sterben …«
    Sie brauchte den Satz nicht zu Ende zu sprechen. Mit einem harten Ton stieß der Scholar seinen Zeigefinger auf die Buchstelle, die er eben noch lautlos gelesen hatte.
    Julia begriff sofort. »Es hat etwas mit dem Aderlass zu tun!«
    Der Scholar nickte nur und schon stürmte sie aus dem Zimmer und die Treppe hinauf in das Schlafzimmer des
Großvaters. Ihr Vater kniete neben Großvaters Bett. Ihre Mutter hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Dann drehte sich Vater um und sah Julia. Ihr Gesicht fühlte sich an, als würde Feuer unter der Haut brennen, so sehr glühte es.
    »Er ist tot. Großvater ist tot.« Die letzten Worte flüsterte er nur, aus Respekt vor seiner Frau und dem Toten, der wie eine wächserne Puppe im Bett lag, mit weißer Stirn, klaffendem Mund und eingefallenen Wangen.
    Julia blieb wie versteinert stehen. Großvater war tot.
    Die Welt schien einen Schritt zurückzutreten und sie allein zu lassen. Kein Geräusch drang mehr zu ihr durch, kein Geruch. Nicht einmal mehr das Licht, denn langsam verengte sich ihr Blickfeld. An den Rändern ihrer Wahrnehmung wuchsen schwarze Bänder und dann ging alles schnell. Sie fühlte, wie sie zu schweben begann, wie sie hinab in eine Schwärze glitt, in der sie ihren Großvater zu finden glaubte. Großvater, der an ihrem Bett gesessen hatte, wenn im Schankraum unten die Stimmen zu laut geworden waren und sie aufgewacht war. Großvater, der sie mit seinen erlebten und erfundenen Geschichten zum Staunen und zum Lachen gebracht hatte. Großvater, der sie an die Hand genommen, durch die Stadt geführt hatte. Dieser Großvater, der für sie immer ein sicherer Hafen gewesen war, sollte tot sein? Undenkbar, dachte sie noch und dann dachte sie nichts mehr …
    Julia erwachte

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