Haus der roten Dämonen
Furcht hinunter.
Jan stolperte rückwärts und verschwand hinter einem blauen Vorhang aus Blitzen und Entladungen. Völlig überraschend stand er in einem Raum, der von einem einzigen schmalen Fensterschlitz erleuchtet war. Nichts war mehr zu sehen von den Spießen der Soldaten, von den Chimären und Kreaturen. Selbst das fette Kugelgesicht Messer Monts hatte sich aufgelöst. Doch wo war er? Hinter sich spürte er Holz. Jan drehte sich um. Ein Treppengeländer in seinem Rücken hatte verhindert, dass er hingefallen war. Holzstufen führten in ein höher gelegenes Stockwerk. Der Raum selbst besaß eine gewölbte Decke, ansonsten war er leer. Jan umfing eine Stille, die nur von gedämpften Schreien unterbrochen wurde. Vor sich sah er eine Holztür mit Metallbeschlägen. Durch sie war er vermutlich in diesen Raum hineingestolpert. Buchstäblich durch Metall und Holz hindurch, als könnte er durch Wände gehen.
Langsam dämmerte es Jan, dass er sich im Inneren des Turms für die astronomische Uhr befand. Seine Gefährten standen noch draußen.
Wenn er sich hatte retten können, konnte er vielleicht auch seinen Gefährten helfen. Er trat zur Tür, berührte sie, doch nichts geschah. Die Magie, die sie von außen wie eine Mauer hatte aussehen lassen, ließ sich von ihm nicht aufheben. Wütend schlug er gegen das mit Metall verstärkte Türblatt, riss an der Klinke, schrie und brüllte – doch die Pforte nach draußen zeigte sich unberührt. Sie öffnete sich nicht.
Jan legte seinen Kopf gegen die Füllung. Vermutlich waren seine Kameraden bereits den Spießen der Soldaten zum Opfer gefallen, nur er hatte sich in den Turm retten können. Er trat mehrere Schritte zurück und starrte lange gebannt auf die Tür, ob sie von den Soldaten eingedrückt werden würde, ob sich Spieße durch das hölzerne Blatt bohren würden. Doch nichts davon geschah.
Durch das schmale Fenster drangen Schreie herein, ein Würgen und Röcheln und das Brüllen Messer Monts, das sich eher ausnahm wie das Zwitschern einer Amsel.
Langsam löste sich seine innere Starre. Er war dort, wo er hingewollt hatte. Also musste er tun, was er sich vorgenommen hatte. Irgendwo in diesem Gemäuer mussten die Bilder lagern. Er riss sich los von dem Gedanken, versagt und seine Gefährten geopfert zu haben, und überlegte den nächsten Schritt. Für Trauer war später noch genügend Zeit. Er musste nach oben. Wenn nur noch er allein übrig war, musste er tun, was sie alle drei gemeinsam hatten tun wollen.
Langsam schlich Jan die Treppe hinauf. Bestimmt erwartete ihn hier irgendwo eine Falle, ähnlich der, die Messer Arcimboldo bewachte.
Er streckte den Kopf durch die Öffnung, die in den ersten Stock hinaufführte, und zog ihn rasch wieder zurück. Doch nichts geschah. Vorsichtig schlich er weiter. Er betrat einen Raum, der vom Werk einer übergroßen Uhr ausgefüllt war. Wie von einem großen Käfig wurde es von einem Metallrahmen eingefasst, in dem große und kleine Zahnräder an Stangen montiert waren, ineinander greifen und sich gegenseitig hemmen oder drehen sollten. Es war ein verwirrendes und zugleich geordnetes Durcheinander, in dem eins ins andere griff und kleine, unscheinbare Bewegungen große Dinge in Gang setzen konnten. Allerdings stand das gesamte Räderwerk still.
Jan betrachtete die Mechanik fasziniert – doch nichts daran war auffällig oder ungewöhnlich. Es gab für den unbedarften Beobachter keinen Grund, warum die Uhr stillstand.
Von der Plattform aus führte eine weitere Treppe in den nächsten Raum hinauf. Dort war offenbar die Mechanik des zweiten Zifferblatts untergebracht, und vermutlich gab es darüber noch ein weiteres Stockwerk, in dem die Figuren für den Apostelumzug zu sehen waren. Ein Räderwerk musste die zweimal sechs Figuren, die zur ganzen Stunde an den sich öffnenden Außenfenstern über dem astronomischen Zifferblatt erschienen, bewegen.
Mit derselben Vorsicht wie eben stieg Jan weiter, und als er den Kopf aus dem Durchstieg streckte, machte sein Herz einen Sprung. Er hatte tatsächlich Contrarios Bibliothek der Bilder entdeckt! Sie standen aneinandergelehnt an den Wänden. Jan überflog die Anzahl und kam auf über drei Dutzend Leinwände. Gleichzeitig erblickte er die Ursache für das Stehenbleiben des Gangwerks und damit des Apostelumzugs. Zwei der Holzrahmen waren offenbar so steil aufgestellt worden, dass der Wind oder womöglich ein Getier sie umgeworfen hatte. Sie waren einem Schwungrad in die Quere
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