Haus der roten Dämonen
dorthin bringen, wo er wohnt. Solltet Ihr ihm diesen Dienst nicht erweisen, finde ich Euch. Und glaubt mir, ich bin heute schon mit anderen Bestien fertig geworden.«
Der Künstler grinste frech. »Und Euer zweiter Wunsch?«
»Ich empfehle Euch, die Stadt zu verlassen. Sollte ich Euch jemals wieder über den Weg laufen, hetze ich den Leu auf Euch.« Der Bildhauer wurde noch eine Spur blasser, als er ohnehin war. »Jetzt verschwindet, Ihr falscher Gulden. Ich habe zu tun!« Jan musste sich zurückhalten, um den fetten
Kerl nicht wieder zu stoßen und auf die Knie zu schicken.
Warum machte er ihm nur immer Schwierigkeiten? Er mochte den Bildhauer und seine falsche Art nicht. Wer einen Waisenjungen bestahl, der war zu Schlimmerem fähig.
Mit geballten Fäusten drehte er sich weg und ging auf den Turm mit der astronomischen Uhr zu. Jetzt war die Zugangstür wieder zu sehen, der magische Schild war verschwunden. Jan nahm den Schlüssel fest in die Hand, schloss kurz die Augen und dachte daran, was Rabbi Löw gesagt hatte. Egal in welche Öffnung er den Schlüssel steckte, er würde ihm eine Tür dorthin öffnen, wohin er wollte, mit der Voraussetzung, dass er eine gute Absicht verfolgte.
Jan betrachtete die Türme der Teyn-Kirche und dachte daran, dass er dort hinaufmusste, um Messer Arcimboldo zu retten. Dann stieß er den Schlüssel in das Schloss der Turmpforte. Er wünschte sich inständig, Messer Arcimboldo zu retten. Er drehte den Schlüssel, riss die eisenbeschlagene Tür auf, trat hindurch – hoffte natürlich, nicht irgendwo in den magischen Räumen hinter dieser Tür verloren zu gehen – und stand in einem Ecktürmchen über einer der Glockenstuben der Teyn-Kirche. Vor ihm saß mitten im Raum Messer Arcimboldo, die Arme an einen Stuhl gefesselt. Überrascht blickte der Maler auf. Seinem Gesicht war die Erschöpfung der Gefangenschaft anzusehen.
Jan musste sich kurz daran gewöhnen, dass der Boden unter seinen Füßen schief stand. Irgendein Umstand hatte den Eckturm in Schräglage gebracht.
»Jan«, rief der Maler ihm zu. »Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass du zu mir hochfinden würdest.«
»Ich auch«, gestand Jan. Er fühlte sich unwohl an diesem Ort. »Ich habe die Schöpfungen Contrarios gesucht
und die Bilder im Turm mit der astronomischen Uhr entdeckt. Sie sind zerstört und die Kreaturen allesamt verschwunden.«
Im selben Augenblick flappten die großen Flügel der Chimäre gegen die Fenster und ein heiseres Zischen fuhr in die Turmstube. Die Chimäre umkreiste die Turmhaube.
»Aber, ich habe geglaubt …«, begann Jan, der gar nicht fassen konnte, dass es die Chimäre noch gab, und zweimal hinsehen musste.
»Binde mich los! Schnell!«, drängte Messer Arcimboldo. »Bevor der Leu hier heraufkommt. Die Chimäre kann nicht herein. Sie ist mit ihren Flügeln zu groß.«
Als hätte allein der Name ausgereicht, das Wesen zu beschwören, hallte das Brüllen des Leu über die Stadt weg. Jan erstarrte. Er hatte diesen Contrario-Buntfinger unterschätzt. Mit der Bibliothek der Bilder hatte er nicht alle Leinwände zerstört. Die der beiden gefährlichsten Kreaturen existierten noch.
»Jetzt steh nicht da wie bestellt und nicht abgeholt, sondern fass mir in den Gürtel. Dort steckt ein Federmesser. Schneide mir damit die Fesseln durch.«
Beinahe mechanisch gehorchte Jan und befreite den Maler. Der stand auf, rieb sich seine Handgelenke und wollte gerade nach unten steigen, um den Turm zu verlassen, als das Brüllen des Leu zu ihnen heraufschallte.
»Zu spät!«, kommentierte der Maler. »Dieser undankbare Kerl von Contrario war eindeutig schlauer als wir.«
Jan kam wieder zu sich. Offenbar gab es ein weiteres Bilderdepot. Doch er hatte nicht die geringste Ahnung, wo das sein konnte. Unschlüssig stand er da und horchte auf das Knacken der hölzernen Treppenkonstruktion, die das Gewicht des Leu tragen musste, während er zu ihnen emporstieg.
Sie waren umzingelt. Außerhalb des Turmes umkreiste sie die Pantherchimäre. Und die Treppen herauf schlich der Leu.
»Warum hat er Euch entführt, Messer Arcimboldo?«, fragte Jan leise. Er umklammerte den Schlüssel wie einen Degen. Damit würde er sie beide aus dieser verzwickten Situation herausbringen. Doch zuerst wollte er eine Antwort auf seine Frage. »Warum?«
»Weil er mich nicht töten kann«, sagte Messer Arcimboldo. »Ebenso wenig können es die Kreaturen dort draußen. Selbst wenn ich an ihnen vorbeimarschierte, würden sie mir
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