Haus der roten Dämonen
heran und schnüffelte.
»Ihr werdet … es bereuen!«, sagte Julia, doch ihren Kopf wegzuziehen, gelang ihr nicht mehr.
Plötzlich zuckten blaue Blitze um ihren Körper. Ein Gitternetz
breitete sich auf ihrer Kleidung aus – und von einem Augenblick auf den anderen saß sie nackend auf dem Stuhl. All die beklemmende Enge, die Last und die Steifheit fielen von ihr ab. Das neue Kleid war verschwunden. Sie war frei!
»Nein!«, schrie Contrario. »Nein!«
Julia fühlte, wie das Messerchen des Schnäppers ein zweites Mal in ihr Handgelenk schnitt. Jetzt, da sie befreit war, wollte sie sich bewegen, doch es gelang ihr nicht. Sie war zu schwach, um sich wehren zu können. Sie fühlte das warme Blut, das ihr über den Arm rann, doch sie vermochte diesen Arm nicht mehr zu heben.
»Mörder«, flüsterte sie noch, als sie fühlte, wie sie in eine Dämmerung hinabsank, von der sie wusste, dass sie daraus nicht mehr von alleine erwachen würde.
28
Sprung in die Tiefe
D urch die Türchen, in denen sonst die Apostel zu sehen waren, spähte Jan nach unten auf den Vorplatz. Messer Mont stand neben seiner Sänfte und drehte sich hysterisch und verwirrt im Kreis. Am Fuß des Gebäudes saß Jakub und rieb sich die Fußsohlen. Er blutete aus verschiedenen Stichwunden und stöhnte bei jeder Bewegung. Meister Gremlin war schlicht verschwunden.
Jan rannte nicht, er flog die Treppen nach unten. Erst vor der Pforte hielt er inne. Er drückte die Klinke. Die Tür war wie zuvor verschlossen. Doch jetzt hielt er einen Schlüssel in der Hand. Er hatte ihn verloren gegeben, bis er auf
das Dach hinausgesehen hatte. Der Schlüssel hatte auf einem der Sparren gelegen, als wäre er dort deponiert worden. Vermutlich hatte die Kreatur gerade abfliegen wollen, als sie sich aufgelöst hatte.
Jan wollte nach draußen und Jakub helfen. Er stieß den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn und vor ihm öffnete sich die Tür. Er zögerte hindurchzugehen. Schließlich konnte er nicht sagen, wohin der Durchgang führte. Als er draußen jedoch den Bildhauer stehen sah, der wie gebannt auf ihn blickte und bei seinem Anblick blass wurde wie ein Bogen Papier, trat Jan durch die Tür – und stand in Prag, auf dem großen Markt, unter der astronomischen Uhr. Die Dämmerung begann gerade, den Rest des Tageslichts zu verscheuchen, und die Farben wichen aus Gebäuden und Gegenständen.
»Jakub!«, rief Jan und stürzte sich auf den Gefährten, der links von ihm auf dem Boden saß.
»Schrei nicht so, mein Junge, du könntest die Bestien anlocken!«, antwortete der Mann mit geschlossenen Augen.
»Ihr lebt! Ihr lebt wirklich!« Jan konnte es kaum fassen.
»Ich bin mir da nicht ganz sicher«, entgegnete Jakub lakonisch. »Weil meine Füße aber noch immer höllisch brennen, muss ich es wohl glauben.«
»Wo ist Meister Gremlin?«, fragte Jan.
»Ich glaube, um den brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, flüsterte Jakub und sah Jan lächelnd an. »Der hatte plötzlich irgendein Pulver in der Hand, mit dem er das Zustoßen der Lanzen verlangsamt hat. Das hat uns beiden genug Zeit gegeben, um den meisten Stichen auszuweichen, und uns so das Leben gerettet. Bevor die Soldaten ein zweites Mal zustechen konnten, waren sie verschwunden – und mit ihnen machte sich auch Meister Gremlin aus
dem Staub. Aber frag mich nicht, wo der Kerl hin ist. Er hat zwar irgendwas gebrummelt, aber man versteht den Alten ja kaum.« Dabei imitierte Jakub das Brabbeln und Murmeln des Alchemisten. Wäre Jan nicht noch immer unter großer Anspannung gestanden, er hätte gerade heraus gelacht, als Jakub »’r h’t’rg’ndw’s g’br’mm’lt« sagte.
Jan beruhigte Jakub: »Es gibt keine Bestien und Dämonen mehr. Ich habe die Bilder gefunden und vernichtet.«
»Gut, mein Junge«, sagte Jakub. »Sehr gut. Was allerdings nichts daran ändert, dass meine Fußsohlen brennen wie der Teufel.«
»Haltet aus, ich schicke Euch jemanden. Ich muss mich aber noch um Julia und Messer Arcimboldo kümmern«, erklärte Jan.
»Mach dir meinetwegen keine Sorgen, Junge. Ich sitze hier gut.«
Jan erhob sich und ging langsam auf Messer Mont zu. Der hatte ihn mit seinen Blicken verfolgt. Davonzulaufen wäre vermutlich unsinnig gewesen, in die Sänfte konnte er alleine nicht einsteigen und Träger gab es keine mehr. Jan trat so nah an ihn heran, wie es sein Bauchumfang zuließ.
»Zwei Dinge könnt Ihr tun, Messer Mont!«, zischte Jan. Er deutete auf Jakub. »Lasst diesen Mann mit Eurer Sänfte
Weitere Kostenlose Bücher