Haus der roten Dämonen
zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Vermutlich nicht, denn deine Mutter hat mich bald darauf verlassen und sich draußen vor der Stadt eine Bleibe gesucht. Ich bin ihr erst wieder begegnet, als es zum Prozess kam. Als mir berichtet wurde, dass sie ein augenfälliges Teufelsmal auf der Schulter besaß, wurde ich neugierig.«
»… und habt mich beiseitegeschafft!« Jan stieß verächtlich die Luft aus den Lungen.
»Ich wusste nicht, dass es dich gab. Erst als der Prozess begann, haben sie nach dir gesucht.«
»Dann bin ich nicht Euer Sprössling?« Jan wusste nicht, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
»Ich sagte schon, ich weiß es nicht.«
»Woher kommen dann … diese blauen Blitze?«
Messer Arcimboldo deutete auf Jans Arm. »Es ist mein Blut, das in deinen Adern fließt. Schließlich hatte deine Mutter reichlich davon.«
Langsam verstand Jan. »Contrario kann deshalb Chimären erschaffen, weil er einen Teil Eures Blutes in den Adern hat?«
»Ja. So könnte man es beschreiben. Es reicht für einige Jahrmarkts-Chimären, er kann auch bereits bestehende Bilder ergänzen und die Wesen darauf verschlimmern, aber einen Menschen zu schaffen, ist für ihn unmöglich. Außerdem braucht er dazu eine Vielzahl von Pigmenten und Ölen, die gibt es nur …«
Der kleine Eckturm begann zu rutschen. Der Leu hatte offenbar eine bestimmte Schwelle überschritten und den Mechanismus ausgelöst, den Contrario-Buntfinger auf
einem Gemälde des Meisters nachträglich hinzugefügt hatte.
»… wo gibt es diese? Schnell!«, schrie Jan.
»Bei mir, in meinem Haus«, schrie Messer Arcimboldo zurück.
Die Turmhaube nahm Fahrt auf und kippte. Jan stürzte nach vorn und stieß den Schlüssel in die Mauerspalte. In meine Kammer im Haus meines Meisters, wünschte er sich inbrünstig, zu Julia! Er drehte den Schlüssel und eine Tür sprang auf. »Jetzt, kommt!« Er packte Messer Arcimboldo und schlenzte ihn durch die Tür. Die Haube kippte stärker und es riss Jan von den Beinen. Er wurde von der Tür weggeschleudert, doch da griff Messer Arcimboldos Arm von der anderen Seite her durch die offene Pforte, schnappte sich seinen Kittel und hielt Jan fest. Jan schien stillzustehen. Der Eckturm stürzte buchstäblich an ihm vorbei in die Tiefe, hinter ihm schlug sie zu, er fiel und polterte in ein Zimmer und kam zwischen Bett und Wand zu liegen.
»Das war knapp!«, murmelte er.
»Allerdings«, kam die Antwort von oben. Messer Arcimboldo war offenbar auf ein Bett gefallen. Jan betastete sich vorsichtig, um herauszufinden, ob er sich noch bewegen konnte, ob er seine Beine und Arme spürte, was alles an ihm zerbrochen und zerschlagen war. Dann bemitleidete er sich erst einmal: Es war doch klar, dass der Lehrling auf dem Boden aufschlug, während der Meister ins gemachte Bett plumpste.
Noch etwas benommen, setzte er sich auf und schaute sich um. Keine andere Dimension, keine andere Zeit. Das hoffte er zumindest. Selbst das Zimmer kannte er: Es war das seine in Arcimboldos Haus.
Sein Meister war bereits auf den Beinen. »Wir sollten
uns beeilen, mein Junge. Wenn er wirklich das tut, was ich befürchte, dann bringt er die Kleine gerade um!«
Jan erschrak. Julia war in absoluter Lebensgefahr!
Sein Meister stand auf und ging zur Tür. »Kein Türgriff!«, sagte er verblüfft und schlug mit der flachen Hand gegen die Füllung. »Dieser Contrario hat ganze Arbeit geleistet.« Noch einmal hieb Messer Arcimboldo gegen die Tür. Diesmal mit der Faust. Doch außer einer schmerzenden Hand erreichte er nichts.
Jan wusste, wie wenig diese Gefühlsausbrüche bewirkten. Dem Haus musste man nachgeben.
»Hört auf!«, sagte Jan nur. »Es will uns nicht zu ihm lassen, warum auch immer. Vielleicht ist es zu gefährlich.« Jan dachte kurz nach. »Wo sind die Bilder?«, fragte er leise. Und seine Frage richtete er nicht an Messer Arcimboldo, sondern an das Haus.
Plötzlich tauchte auf der weißen Wand, an der schon einmal eine Tür erschienen war, wieder eine solche auf. Diesmal wirkte sie jedoch alt und grob gearbeitet. Sie war mit Eisenbeschlägen versehen und hatte einen Türbalken, den man wie einen großen Riegel abheben musste.
»Wir sollten dieser Tür folgen«, sagte Jan. »Sie wird uns dorthin führen, wohin wir wollen – vermutlich auch zu Julia.«
Jan stand auf, hob den Balken ab, der für ihn beinahe zu schwer war. Doch Messer Arcimboldo eilte herbei und half mit. Als sie die Tür öffneten, tauchte
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