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Haus der roten Dämonen

Titel: Haus der roten Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Dempf
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lebendes Haus? Pah!
    »Das ist doch unmöglich«, sagte er.
    Die Augenbrauen Messer Arcimboldos zogen sich zu einer einzigen Linie zusammen. Das wirkte bedrohlich. »Die Fragerei ist beendet. Ich kann nicht den ganzen Tag mit dir plaudern. Die Arbeit ruft. Ich muss Skizzen machen. Hol mir ein Ries Papier vom Stapel dort hinten! Vom geschnittenen.«
    »Herr? Was ist ein Ries Papier?« Jan hatte den Begriff nicht verstanden.
    »Ein Ries?« Arcimboldo stöhnte zuerst über Jans Unkenntnis, doch dann lächelte er. »Das ist ein großer Bogen Papier. Jetzt hol ihn schon! Ich brauche das Papier für Vorzeichnungen.«
    Jan biss sich auf die Lippen, während er das Ries Papier holte. Er hatte den Bogen etwas überspannt. Das durfte ihm nicht mehr passieren. Mit Menschen wie Messer Arcimboldo
musste er vorsichtiger umgehen. Zumindest hatte er ihm ein Geheimnis entlockt, obwohl er es noch nicht ganz begreifen konnte: das unfassbare Mysterium dieses Hauses.
    Er betrat den Nebenraum, auf den Messer Arcimboldo gedeutet hatte. Auf einer Seite des Zimmers lagerte Papier in großen Stapeln. Auf der anderen standen drei beinahe fertige Bilder auf Staffeleien. Es waren eigenartige Köpfe, die aussahen, als wären sie Blumen oder Bücher oder – Jan traute seinen Augen kaum – Fische und Wassertiere. Doch es waren Menschen dargestellt. Jan glaubte auch den einen oder anderen von ihnen zu erkennen. Des Kaisers Oberbibliothekar beispielsweise, dessen Gesicht aus Büchern zusammengesetzt war. Jan erschrak zuerst, doch dann musste er schmunzeln und schließlich lachte er.
    »Amüsieren dich die Bilder?«, fragte der Maler. Jan verstummte sofort und erinnerte sich des Auftrags. Er hob ein Ries von einem Stapel ab und brachte es zu seinem Herrn.
    Mit Schwung legte er den Bogen auf den Arbeitstisch. Er hatte die Tischfläche nicht ganz getroffen, weil der Spannrahmen für ein Ölbild darunter lag, sodass Messer Arcimboldo unwillkürlich nach den Rändern griff. Gleichzeitig schob Jan das Blatt etwas zur Seite.
    »Herrgott, was tust du?«, schimpfte sein Meister plötzlich und führte einen Finger zum Mund und riss gleichzeitig wütend das Papier vom Tisch.
    Sofort ließ Jan alles liegen und stehen und sprang mindestens drei Fuß nach hinten, um dem Schlag auszuweichen, den er erwartete. Fehler führten zu Strafen, das hatte er gelernt. Das war ein ehernes Gesetz. Dabei war es unerheblich, ob sie bedeutend waren.
    Arcimboldo betrachtete seinen Mittelfinger. Jan sah, dass er sich an der scharfen Kante des Papierbogens geschnitten
hatte. Ein feiner roter Strich zog sich quer über den Finger, Blut quoll aus der Wunde.
    »Verzeiht, Herr«, versuchte Jan den Meister zu beschwichtigen. Doch der starrte nur auf den feinen roten Strich, aus dem das Blut mittlerweile so stark austrat, dass es auf die Leinwand darunter tropfte und vom weichen Kreidegrund aufgesogen wurde. Wie Mohn auf dem Feld, so blühten die Tropfen aus Blut auf der Bespannung auf.
    »Erstaunlich!«, flüsterte Messer Arcimboldo und blickte den Tropfen nach, als sähe er zum ersten Mal in seinem Leben Blut. »Höchst erstaunlich.« Dann, als käme er aus einer anderen Welt zurück, betrachtete er Jan, der immer weiter zurückwich. »Ich weiß wirklich nicht …« Mehr sagte Messer Arcimboldo nicht, und Jan fragte sich, was sein Herr nicht wusste und warum er ihn so fragend anstarrte.
    Ein Wutanfall wäre Jan am liebsten gewesen, ein reinigendes Toben und Schreien. Aus Erfahrung wusste er, wie schnell danach Zorn und Grimm verraucht waren. Diesen stillen Groll fürchtete er, denn er bedeutete eine durchdachte Strafe, ein Leiden, das sich hinzog und Wunden hinterließ. Wer sich derart beherrschte, brütete seine Rache genüsslich aus und strafte aus Freude. Er schloss die Augen, um das Richtschwert nicht betrachten zu müssen, das über ihm hing und irgendwann auf ihn niederfahren musste.
    »Geh!«, sagte Arcimboldo plötzlich. »Geh und reib Pigmente. Wenn Contrario kommt, schick ihn sofort zu mir.«
    Die Stimme seines Meisters war ruhig, zu ruhig, gefährlich ruhig. Jan wagte nicht, die Augen zu öffnen, er wagte es nicht einmal, einen Schritt vorwärts zu gehen, aus Furcht, direkt in die Bestrafung hineinzulaufen.
    »Mein Gott, Junge, du bist ja blass wie die Wand«, hörte er Arcimboldo sagen und es klang weit weg und keineswegs unfreundlich.

    Jan stand immer noch starr. Doch langsam spürte er, wie seine Glieder gefühllos wurden, wie ihn ein Schwindel packte, wie es ihn zu

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