Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Haus der roten Dämonen

Titel: Haus der roten Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Dempf
Vom Netzwerk:
doch nur bei Hajek geblieben, dachte er kurz. Es wäre geradezu eine Wohltat gewesen, für ihn auf Diebeszug zu gehen. Irgendwann hätten sie ihn beim Stehlen erwischt und ihm eine Hand abgehauen oder die Ohren abgeschnitten. Aber er hätte sein Leben behalten dürfen. Was er jetzt zu hören bekam, war um vieles schlimmer. Der Leu sog die Luft ein, als wolle er Mensch und Tier durch die Nasenlöcher einziehen. Jan konnte ihn nicht sehen. Zu überhören war das Gemetzel allerdings nicht, das der Leu anrichtete. Mit riesigen Sätzen sprang er Reiter und Pferde an, riss sie nieder, biss mit seinen drei Köpfen um sich und ließ seine Pranken und den Schwanz verheerende Schläge tun. Jan hörte das Klappen der Kiefer und die entsetzten Schreie von Tier und Mensch, wenn sie vom Tod berührt wurden.
    Der Blutdurst der Kreatur schien unersättlich zu sein. Einmal flog ein in der Mitte durchgebissenes Wildschwein bis dicht neben Jan, und das sterbende Tier versuchte, sich mit den beiden verbliebenen Vorderbeinen zu verkriechen. Es starrte Jan an, als wäre es dem Tod höchstpersönlich begegnet,
bis seine Augen brachen. Jan dagegen trieb es Tränen der Wut und der Angst in die Augen, und er fühlte, wie seine Unterlippe zuckte, ohne dass er es beeinflussen konnte.
    Als er glaubte, der Leu entferne sich, wagte er vorwärtszukriechen. Doch immer wieder hörte er das Untier erneut heranschnellen und sich seine Beute aus Jans unmittelbarer Nähe holen. Es warf die Tiere in die Luft und riss sie zwischen zweien seiner Köpfe in Fetzen. Einmal sah Jan den Leu im Licht der Fackeln: Er schimmerte tiefrot.
    Jan schämte sich, weil die Kreatur seinen Gedanken, seiner Feder entstammte. Er hatte diesen Dämon entworfen! Daran gab es für ihn keinen Zweifel. Alles an ihm stimmte mit seiner Zeichnung überein: die drei Köpfe, der Halskragen, die Klaue an den Vorderpfoten. Ihm war es zu verdanken, dass dieses Wesen hier sein Unheil trieb. Doch wer um alles in der Welt hatte es lebendig werden lassen? Contrario-Buntfinger? Messer Arcimboldo? Im Grunde spielte es keine Rolle, denn nur seinem Kopf war dieses blutdurstige und grausame Untier entsprungen.
    Jan kroch von Schatten zu Schatten, schlich von Busch zu Busch und kam langsam der Treppe näher. Hoffentlich wurde diese nicht bewacht, wenn eine Jagd stattfand.
    »Wer da?«, hauchte plötzlich eine Stimme. Es war bereits so dunkel, dass er nicht mehr sehen konnte, wer ihn da ansprach.
    »Ich!«, antwortete er ebenso unbestimmt, wie er gefragt worden war.
    »Wer ist ich?«, hakte die Stimme nach – und Jan erkannte am Klang, wen er vor sich hatte.
    »Majestät!«, stieß er hervor. »Ihr müsst sofort von hier verschwinden!« Im Dunkeln vor ihm kauerte tatsächlich Rudolf II., kreidebleich und elend zwängte er sich in den
Schatten der Treppe, die nach oben führte. »Ist das hier der Ausgang?«
    »Jawohl«, sagte der greise Kaiser.
    »Dann steigen wir gemeinsam hinauf, Majestät«, entschied Jan.
    »Es geht nicht!«, widersetzte sich Rudolf II. »Es ist nämlich so …«
    Rudolf II. hielt mitten im Satz inne. Was jetzt geschah, war ein wenig bizarr.
    Jan roch den Grund, warum sich der Kaiser nicht von der Stelle bewegen wollte. Rudolf II. hatte die Hosen gestrichen voll.
    »Ihr könnt Euch in Euren Gemächern säubern«, bestimmte Jan. »Jetzt kommt Ihr einfach mit mir mit. Hier ist es zu gefährlich. Die Kreatur wird Euch sonst …«, Jan wusste nicht, wie er es sagen sollte, »… wittern.« Er flüsterte das letzte Wort.
    Jan packte den Kaiser am Arm und zog ihn hinter sich her. Ohne Murren ließ der es geschehen. Die Holzstufen waren so feucht, dass sie kein Geräusch verursachten, und erstmals lobte Jan das sumpfige Moldauufer, an dem Prag gebaut worden war. Der Fluss schickte täglich seinen dampfigen Atem über die Stadt und besprühte sie mit einem Nebel aus Feuchtigkeit. Am Ende der Treppe standen Wachen, wie Jan es befürchtet hatte. Niemals wäre es ihm gelungen, an ihnen vorbeizukommen. Der Kaiser war ihm jedoch die beste Hilfe. Jan konnte sich ein heimliches Grinsen nicht verkneifen.
    Der Lärm im Hirschgraben ließ nach. Jan übergab den Wachen ihren bibbernden Herrscher, und bevor einer der Männer etwas vorbringen oder neugierige Fragen stellen konnte, glitt Jan in die Dunkelheit zurück und jagte zum Haus Messer Arcimboldos. Er war gerade noch in der Zeit.

    Die Gefäße mit dem Arcanum splendidum an sich gedrückt, flitzte er über das Pflaster des Burghofs, vorbei an

Weitere Kostenlose Bücher