Haus der roten Dämonen
Handkäfigs abgetrennt worden. Etwas hatte sie kurz nach dem Griff abgeschlagen.
Ihr Vater wollte die Waffe gerade aufheben, um sie zu begutachten, als eine lange schlanke Pfote durch die Fensteröffnung schnellte und ihn zu packen versuchte. Die Pranke stieß ihn auf die Bretter und die messerscharfe Klaue an ihrem Ende verfehlte ihn nur um ein Haar. Der Kerzenhalter polterte zu Boden. Nur eine einzige Kerze brannte weiter. Die Kralle am Ende der Pfote bohrte sich in den hölzernen Plankenboden und verhakte sich kurz darin. Dieser Umstand verschaffte Julias Vater die Zeit, von der Pranke wegzurobben. Als sich die Klaue löste, hinterließ sie einen hässlichen Kratzer im Plankenboden.
»Raus hier!«, rief ihr Vater, packte Julia und zog sie hinter sich her in sein Schlafgemach, die verbliebene Kerze in der Faust.
Vor dem Haus vernahmen sie ein ärgerliches Fauchen, dann folgte ein Klatschen und Krachen, als wäre der Hühnerstall eingestürzt. Ein letztes Mal schlug etwas mit aller Wucht gegen die Haustür, dann wurde es still.
»Mein Gott, Julia«, hörte sie ihren Vater flüstern – und seine Stimme klang, als käme sie von ganz weit her. »Was war das?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Julia. »Ich weiß es wirklich nicht!«
Sie kauerten auf dem obersten Treppenabsatz der Stiege, die nach unten führte und auf die Haustür zulief, und hielten sich bei der Hand. Bei all dem Trubel und der Schnelligkeit, mit der sie sich hierher gerettet hatten, wunderte sich Julia, dass vom Kerzenhalter und seinen drei Kerzen noch eine übrig geblieben war.
»Pst«, flüsterte ihr Vater, obwohl sie nichts gesagt hatte.
Aus der Gasse unten ertönte ein Singen, das bis zu ihnen empordrang und lauter wurde, je näher es kam.
Julia und ihr Vater sahen sich an. Julia blickte in ein totenbleiches Gesicht, aschfahl von den Geschehnissen. Vermutlich sah sie ebenso käsig in die Welt.
Plötzlich pochte es an die Tür.
Julias Vater hob die Augenbrauen. »Wer kann denn das sein?«
Das Klopfen wurde dringlicher. Eine Stimme erhob sich. »Julia?«, rief sie. »Julia! So mach endlich auf.«
Ihr Vater sah sie an. »Was soll das, Kind? Woher kennst du Männer, die nachts an unsere Tür hämmern?«
Doch da war Julia bereits aufgestanden und huschte die Treppe hinab. Sie hatte die Stimme sofort erkannt. Rasch hob sie den Riegel und riss die Tür auf. Auf der Schwelle stand ein Mann in einem bodenlangen schwarzen Kaftan. »Kommt herein, rasch! Dort draußen … es kann wiederkommen … schnell!« Sie riss regelrecht am schwarzen Stoff des Mannes und zerrte ihn ins Haus. Doch der Rabbi hielt die Tür mit einem Arm offen und blieb auf der Schwelle stehen. Julia überflutete eine Welle der Angst. Ihr Herz klopfte wie wild, und ihr Atem ging, als wäre sie vom Moldauufer hinauf zum Hradschin gerannt.
»Julia!«, ertönte von der Treppe her ihr Vater. »Du kannst doch nicht wildfremde Menschen einfach so in unser Haus bitten!«
Auf halber Höhe öffnete sich die Tür zum Zimmer des Scholars und Jaroslav trat auf die Schwelle. Auch er stand dort in Nachthemd und Schlafmütze, auch er starrte die Treppe hinab.
»Jaroslav, verschwindet in Eure Kammer!«, zischte Julias Vater.
»Das ist kein wildfremder Mensch«, versuchte Julia ihren Vater zu beruhigen. »Ich kenne ihn.«
Jaroslav, der bislang gar nichts gesagt hatte und nur mit der Kerze in der Hand in seinem weißen Linnen dastand wie ein Gespenst, bestätigte Julias Aussage. »Sie kennt ihn tatsächlich. Das ist niemand anders als Rabbi Löw.« Er verbeugte sich und der Geistliche deutete ebenfalls eine Verbeugung an.
»Rabbi Löw?« Stille, dann ein Räuspern und zuletzt ein Fluch. »Verdammt noch eins«, polterte Julias Vater los, »er ist ein Jude?«
17
Jagd
J agdhörner bliesen zum Halali. Jan sah von seinem Gesträuch aus auf eine freie Wiese, die sich in der hereinbrechenden Dämmerung dunkel färbte. Schützen auf Pferden, ihre Armbrüste auf den Sattelknöpfen abgelegt, stellten sich links von ihm in Reihe auf. Die meisten Männer kannte Jan nicht, doch drei oder vier hatte er schon gesehen. Sie stammten aus dem Umfeld des Königs. Es war die Jagdgesellschaft des Königs, der er im Vorhof des Hradschin schon begegnet war. Noch immer steckten sie in ihren bunten Röcken, die ihr Reiten so steif erscheinen ließ, als hätten sie Stöcke im Rücken.
Die Hörner verstummten, die Reiter legten ihre Bolzen ein und warteten. Ein weiterer Hornstoß folgte und von der rechten
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