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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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ein paar Monate im Schrank. Tragen Sie Ihren wachsenden Bauch mit Stolz und Würde, wie die Samoanerinnen. Ihre schlanke Taille bekommen Sie noch früh genug zurück.«
    »Ihre Ansichten erscheinen mir recht gewagt«, sagte John kühl. »Ich möchte erst die Meinung eines anderen Arztes einholen.«
    »Selbstverständlich steht es Ihnen frei, einen Kollegen zu konsultieren«, erwiderte Doktor von Kolle und blies den bläulichen Rauch zur hölzernen Decke. »Der Kapitän der
Lübeck
wird Sie gewiss nach Tonga bringen. Dort gibt es auch einen Arzt. Er ist zwar Brite, aber Sie sind sicherlich des Englischen mächtig. Doch Sie sollten sich beeilen. Die
Lübeck
legt zur Mittagszeit ab. Wenn Sie sie verpassen, müssen Sie drei Monate warten.«
    Er musterte beide aus spöttischen, grauen Augen, und Johns Gesicht überzog eine ärgerliche Röte.
    »Hören Sie einfach auf Ihre Frau, Herr Seymour. Sie wird Ihnen schon mitteilen, wenn ihr etwas zu viel wird.« Er wandte sich an Victoria. »Sie haben beim Dinner am Dienstag erwähnt, dass Ihr Vater Arzt sei«, sagte er. »Darf ich fragen, welche Fachrichtung er gewählt hat?«
    »Sie dürfen«, erwiderte sie. Sie wusste nicht, was sie von Doktor von Kolle halten sollte. Er war schroff und unverschämt in seinen Umgangsformen, aber behutsam bei der Untersuchung. Er wirkte spöttisch und arrogant, und sein Ton glitt sogar ins Anmaßende, Ordinäre ab. Doch seine Ansichten hatten Hand und Fuß. »Mein Vater ist Internist. Er hat viele Jahre im Krankenhaus Sankt Georg in Hamburg als Chefarzt gearbeitet und führt jetzt eine eigene Praxis.«
    »Also ist Ihr Schwiegervater die Quelle ihrer umfangreichen Kenntnisse in Frauenheilkunde und Geburtshilfe?«
    Victoria bekam Angst, dass John gleich vor Zorn platzen würde. Sein Gesicht war weiß, seine Hände umklammerten die Stuhllehnen. Aber noch beherrschte er sich.
    »Das nicht, Herr Doktor. Aber meine Frau wollte selbst Medizin studieren«, sagte er und hob herausfordernd das Kinn.
    »So?« Der Arzt hob eine Augenbraue. »Interessant. Woran ist dieser hehre Plan gescheitert?«
    Victoria atmete tief und ruhig ein. Doktor von Kolle machte auch sie wütend. Ob er Freude daran hatte, sie beide zu provozieren? War er etwa neidisch auf sie, auf ihren Vater, auf ihre Ehe und dass sie bald eine Familie haben würden? Was war mit diesem Mann los? Sie musste bis zehn zählen, um ihre gute Erziehung nicht zu vergessen. »An der Rückständigkeit vieler Kollegen und den Gesetzen, die den deutschen Frauen immer noch den Zugang zu den Universitäten verwehren«, sagte sie. »Stattdessen habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen.«
    »Und wo?«
    »Im Marienkrankenhaus in Hamburg.«
    Er nickte langsam, fast anerkennend. »Das Haus hat einen recht guten Ruf«, sagte er und sog an seiner Pfeife.
    »Sie sagen es.« Victoria hielt sich den Handrücken vor die Nase und fragte sich, welches Kraut der Doktor rauchte. Wie gewöhnlicher Tabak roch es jedenfalls nicht.
    »Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen, Frau Seymour? Ich arbeite hier allein, und obgleich meist nicht viel zu tun ist, könnte ich doch mitunter eine Hilfe gebrauchen. Wären Sie bereit, mir hin und wieder zur Hand zu gehen, sofern Sie sich langweilen? Natürlich ist dies hier weder eine mit allem medizinischen Komfort ausgestattete Großstadtpraxis noch ein erstklassiges Krankenhaus. In der Tat ist dieser Raum, in dem wir gerade sitzen, Büro, Behandlungsraum, Operationssaal und Kreißsaal in einem, und das Hospital nebenan besteht aus einem Zimmer mit vier Betten, die gottlob nur selten belegt sind. Aber für den Fall, dass Sie möchten …«
    »Ich werde …«
    »Meine Frau hat es wahrlich nicht nötig, sich bei Ihnen als Krankenschwester zu verdingen, Herr von Kolle!«, fuhr John dazwischen.
    »Ich werde über Ihr Angebot nachdenken«, sagte sie förmlich und erhob sich. »Guten Tag, Herr Doktor.«
    Als sie auf der Straße waren, atmete sie aus.
    John stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Was für ein schrecklicher, ungehobelter Bursche!«, stieß er hervor. »Ich weiß nicht, ob ich dir nicht verbieten soll, diesen Kerl jemals wieder aufzusuchen.«
    »Ich stimme dir zu. Der Doktor ist arrogant und schroff und selbstgerecht und noch so manches andere, wofür mir zurzeit die Worte fehlen. Aber in einem hat er recht: Er ist der einzige Arzt auf dieser Insel. Und ganz gleich, wie sehr es uns missfallen mag, eines Tages wird es nötig sein, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen.

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