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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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wenn ich mir sein Gesicht so anschaue. Setzen Sie sich lieber, Herr Seymour, bevor Sie stürzen und sich verletzen. Sie können sich ankleiden, gnädige Frau.«
    Er ging zu einem kleinen Schrank, der in der Ecke bei seinem Schreibtisch stand. Als Victoria angekleidet war und hinter dem Paravent hervorkam, setzte sie sich auf den zweiten Stuhl neben John. Der Arzt reichte ihm gerade ein mit bernsteinfarbener Flüssigkeit gefülltes Glas.
    »Was ist das?«, fragte John und roch argwöhnisch daran. »Arznei?«
    »Jawohl, von mir persönlich verordnet. Eine wirksame Mixtur bei allen erdenklichen Leiden und Befindlichkeitsstörungen. Die meisten bezeichnen sie einfach als Rum.«
    John wurde rot, aber er trank gehorsam einen Schluck.
    »Haben Sie noch Fragen?«
    »Was kann meine Frau sich zumuten?«
    »Alles.«
    »Wie bitte?« John starrte den Arzt ungläubig an.
    »Jawohl, Sie haben richtig gehört. Natürlich würde ich sie nicht auf Pottwaljagd gehen lassen, aber wie ich Ihre Gattin einschätze, wird sie das kaum in Erwägung ziehen. Ansonsten darf sie tun, was ihr gefällt.«
    »Aber sie sollte sich doch gewiss schonen, in ihrem Zustand!«
    »Bei dem
Zustand
Ihrer Frau handelt es sich um eine Schwangerschaft, keine Krankheit. Eine ganz gewöhnliche, normale Schwangerschaft. Die Einheimischen hier machen kein Aufheben darum. Bis zur Geburt gehen sie üblicherweise ihrer Arbeit nach.«
    »Das mag schon sein, aber die Frauen hier sind natürlich ganz anders, kräftiger und … und …« John suchte nach Worten und griff nach Victorias Hand, als wolle er sie beschützen.
    »Ich weiß, dass man in Deutschland einen großen Aufstand um Schwangerschaft und Geburt macht, sofern es sich um Damen aus einer der höheren Gesellschaftsschichten handelt«, sagte Doktor von Kolle und begann, seelenruhig seine Pfeife zu stopfen. »Man verhält sich, als sei es etwas Besonderes, spricht von
Zustand, anderen Umständen
oder von einem
süßen Geheimnis.
Man nimmt den Frauen alles ab, bis sie schließlich zu unmündigen Kindern werden, anstatt sich für das neue Leben, das in ihnen entsteht, zu stärken. Arbeiterinnen oder Bäuerinnen hingegen machen nicht so viel Wind. Die schonen sich nicht, bekommen ihren Nachwuchs und arbeiten kurz darauf wieder genauso wie zuvor. Doch als Arzt kann ich Ihnen versichern, dass die Frauen auf der ganzen Welt und durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch die gleiche Anatomie haben. Und egal wo sie sich auf dem Erdball befinden, eine Schwangerschaft bleibt eine Schwangerschaft. Es ist ein natürlicher Vorgang. Und solange die Mutter nicht krank oder unterernährt ist, gibt es keinen Grund, sie wie ein rohes Ei zu behandeln. Glauben Sie mir, Herr Seymour.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und legte die Füße auf den Tisch. Dann zündete er sich die Pfeife an. »Ihre Frau ist kerngesund, und das Kind ist wohlauf. Die leichte Blutung und die Schmerzen waren ein Warnschuss, mehr nicht. Ich sehe keinen Grund, Ihre Frau fortan wie eine Schwerkranke zu behandeln, sie zu verhätscheln oder ihr jedes Vergnügen zu versagen, den ehelichen Verkehr eingeschlossen.«
    »Herr Doktor, ich muss doch sehr bitten!«, rief John aus und sprang auf.
    Victorias Wangen brannten. Aber eher aus Zorn denn aus Scham. Was bildete sich der Arzt ein?
    »Wir befinden uns in Anwesenheit einer Dame!«
    »Bleiben Sie sitzen, Herr Seymour«, sagte der Doktor gelassen. »Es gibt keinen Grund, sich aufzuregen. Wir sind drei erwachsene, aufgeklärte Menschen. Wir wissen, welche Tätigkeiten einer Schwangerschaft vorausgehen. Oder glauben Sie noch an die Geschichte von dem Storch?«
    »Ich schätze, dass mein Mann Ihre Taktlosigkeit anprangert, derart intime Details zu besprechen, obgleich Sie noch nicht unser Vertrauen als Arzt genießen.«
    »Touché, Madame«, sagte der Arzt und neigte anerkennend sein Haupt. »Da haben Sie natürlich recht, und ich bitte um Verzeihung für meine Unhöflichkeit. Tun Sie einfach so, als hätte ich nichts gesagt.«
    »Es wird uns zwar schwerfallen, aber wir werden es versuchen«, entgegnete John steif.
    »Kann ich diesen
normalen Vorgang
der Schwangerschaft in irgendeiner Form unterstützen?«
    »Sie sollten sich gut ernähren, gnädige Frau – viel Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch essen, Alkohol und andere Genussgifte meiden. Aber eine kluge Frau wie Sie wird sich gewiss schon von allein an diese Ratschläge halten. Kümmern Sie sich nicht um die Mode und lassen Sie die engen Mieder für

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