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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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die breite Eingangstür die Halle betrat, hatte sie die Warnung des Arztes bereits vergessen.
     
    Apia, 14 . Oktober 1891
     
    John war außer sich vor Freude. Seit er weiß, daß er Vater wird, strahlt er und erzählt jedem, angefangen vom Personal bis hin zu den Kaufleuten, mit denen er sich trifft, um erste geschäftliche Verbindungen zu knüpfen, weshalb ich mich in den nächsten Monaten schonen muß.
    Die Neuigkeit, daß die deutsche Gemeinschaft auf Samoa bald um einen weiteren Einwohner reicher wird, hat sich rascher als erwartet in Apia verbreitet. Noch gestern, am frühen Abend, hat mich Mechthild besucht, um mir ihre Hilfe und Unterstützung anzubieten. Neben den Grüßen und guten Wünschen der anderen Damen hat sie mir eine Dose Liebigs Fleischextrakt mitgebracht, damit ich besser über meine »Unpäßlichkeit« hinwegkomme. Außerdem schenkte sie mir zwei Knäuel feinstes Strickgarn sowie ein Heftchen mit Anleitungen für Babykleidung. Ich war so gerührt von dieser Geste, daß mir wieder einmal die Tränen kamen. Mechthild muß mich für eine alberne Gans halten, aber sie verbirgt es gut und versicherte mir, ich solle mir keine Sorgen machen. Meine mangelnden Handarbeitsfertigkeiten habe ich natürlich nicht erwähnt. Statt dessen habe ich sogleich einen Schal ausgesucht, den ich stricken werde. In der tropischen Hitze Samoas wird das Kind ihn zwar kaum brauchen, aber die Anleitung erscheint mir so einfach, daß ich diese Arbeit selbst mir zutraue. Außerdem kann ich mir so die Zeit vertreiben. Während John sich heute mit zwei Plantagenbesitzern trifft, sitze ich in einem großen Lehnsessel am Fenster unseres Zimmers, schaue dem Treiben auf der Straße zu und genieße die Ruhe. Ich denke nach, träume, schreibe Tagebuch. Bald werden wir ein Haus einrichten, und John wird ein Kontor aufbauen. Er wird das Geschäftliche regeln, mit den Kaufleuten und Plantagenbesitzern verkehren. Und ich? Ich werde mich um die Kinder kümmern. Um die Angestellten. Und mit den anderen Damen der feinen Gesellschaft regelmäßige Teekränzchen abhalten und den Inseltratsch so lange durchkauen, bis mir davon übel wird. Ich werde mich langweilen und John furchtbar enttäuschen. Vielleicht sollte ich mir eine Aufgabe suchen.
     
    Am Freitag um kurz vor zehn machte Victoria sich zum zweiten Mal auf den Weg zu Doktor von Kolle. Diesmal kam John mit. Er war beinahe aufgeregter als sie selbst. Seine Gesichtsfarbe wechselte in rascher Folge von Rot zu Weiß. Seine Hände waren feucht. Sie nahmen mit klopfenden Herzen auf den wackeligen Stühlen im Wartezimmer Platz. Es ging ihr heute schon wesentlich besser, trotzdem war sie nervös. Der Geruch von kaltem Zigarren- und Pfeifenrauch verursachte ihr Übelkeit, und am liebsten wäre sie vor die Tür gegangen, aber sie wollte nicht draußen auf der Straße warten, wo jeder Einwohner von Apia sie sah. John drückte ihre Hand und konnte seine Beine kaum still halten. Die Wartezeit dehnte sich endlos.
    Die Tür des Sprechzimmers öffnete sich, und der Doktor trat heraus. Gleichzeitig schlug die Turmuhr zehnmal.
    »Guten Tag Frau Seymour. Herr Seymour. Kommen Sie bitte mit.«
    »Darf mein Mann bei der Untersuchung zugegen sein?«
    Doktor von Kolle lächelte spöttisch. »Das ist allein Ihre Entscheidung, gnädige Frau.«
    Sie nickte John zu, und gemeinsam betraten sie das kleine Behandlungszimmer.
    »Nehmen Sie Platz, Herr Seymour«, sagte der Doktor und wusch sich die Hände. »Machen Sie sich frei und kommen Sie zur Liege.«
    Als Victoria im Unterkleid hinter dem Paravent hervorkam, sprang John auf, führte sie zu der Untersuchungsliege und half ihr beim Setzen.
    Der Arzt beobachtete sie, und sie errötete. Seine Gedanken waren nicht zu erraten, aber sie hatte den Verdacht, dass er sich insgeheim über sie beide lustig machte.
    »Legen Sie sich hin«, sagte er und begann erneut, ihren Bauch abzutasten.
    »Wie geht es Ihnen heute?«
    »Gut.«
    »Schmerzen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Und was ist mit den Blutungen?«
    Victoria warf John einen kurzen Blick zu. Er war kreidebleich. Vielleicht hätte er doch besser draußen warten sollen. »Die Blutungen haben aufgehört.«
    »Erfreulich.«
    Der Arzt nahm das hölzerne Hörrohr und hielt es ihr auf den Bauch.
    »Wie steht es, Herr Doktor?« Johns Stimme zitterte.
    »Alles bestens«, sagte er und drehte sich zu John um. »Es besteht kein Grund zur Sorge. Der Mutter geht es gut, das Kind ist wohlauf. Nur dem Vater könnte es bessergehen,

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