Haus des Glücks
Palmen und den Vögeln lauschen.
»Victoria?« John legte ihr eine Hand auf den Arm und sah sie fast flehend an. Scheinbar glaubte er, dass sie ihm immer noch böse war.
»Nein«, sagte sie. »Wir brauchen uns kein anderes Haus anzusehen. Hier möchte ich wohnen.«
Er lächelte erleichtert und nickte Herrn Greggersen zu. »Sie haben es gehört, Wilhelm. Meine Frau ist ähnlich begeistert wie ich.«
Begeistert? Sie konnte sich keinen schöneren Ort vorstellen.
»Ich werde dem Herrn Gouverneur Bescheid geben.« Greggersen wirkte erfreut. Vermutlich hatte er noch mehr Aufgaben zu erledigen, als das Ehepaar Seymour bei der Wohnungssuche zu begleiten, und er war dankbar, dass ihm eine weitere Pilgerreise durch die Stadt erspart geblieben war.
»Wann können wir den Vertrag unterzeichnen?«
Greggersen zuckte mit den Schultern. »Noch heute, wenn Sie möchten.«
»So schnell?«
»Wenn Sie sich lieber noch Bedenkzeit lassen wollen, können wir es auch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.«
»Nein«, entgegnete John mit einem Seitenblick auf Victoria rasch. »Je eher wir unterschreiben, umso eher werden wir einziehen. Nicht wahr?«
»Das Haus steht ohnehin leer. Sie können es jederzeit beziehen. Schon heute, wenn es Ihnen genehm ist.«
»Das wäre wundervoll, nicht wahr, Liebes?«
Er drückte ihre Hand, während sie sich kaum losreißen konnte von dem Blick über das Meer, den Blumen im Garten und dem Haus selbst: Anmutig sah es aus, einladend, fröhlich. Ein freundliches Haus mit einer breiten Eingangstür, die sie an einen lachenden Mund erinnerte.
»Ja«, antwortete sie. »Das wäre phantastisch.«
»Dann werde ich Sie mit dem Personal bekannt machen. Lotte! Karl!«
Eine kleine, rundliche Frau und ein grauhaariger Mann eilten herbei. Wie Victoria später erfuhr, wurden sie aufgrund des ähnlichen Klanges und der Einfachheit halber nur mit Lotte und Karl, statt mit ihren samoanischen Namen angeredet.
»Das sind die Herrschaften, denen von heute an dieses Haus gehört«, sagte Herr Greggersen, und Victoria fragte sich, ob er nicht ein wenig höflicher hätte sein können.
»Willkommen«, sagte der Mann mit einem weichen, melodischen Akzent und verbeugte sich, seine Frau tat es ihm gleich.
Obwohl die beiden freundlich waren, hatte Victoria den Eindruck, genau von ihnen gemustert zu werden. »Es freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie und reichte ihnen die Hand. Danach blickte sie nach oben zur Inschrift über der Tür, die ihr bereits von weitem aufgefallen war. Ein Wort, das zu keiner ihr bekannten Sprache zu gehören schien und das sie vor den Samoanern nicht auszusprechen wagte. »Was steht dort?«, fragte sie.
John und Greggersen traten einen Schritt zurück und starrten verblüfft nach oben, als stünden die Buchstaben erst seit kurzem dort.
»Ich muss gestehen, dass mir die Inschrift bisher noch nie aufgefallen ist«, gab Greggersen zu. Er runzelte die Stirn. »Es scheint ein samoanischer Begriff zu sein, gnädige Frau. Leider beherrsche ich diese Sprache kaum. Aber Lotte und Karl werden es wissen. He, ihr beiden, was steht dort?«
Karl schüttelte den Kopf. »Verzeihung, aber wir können nicht lesen«, sagte er und lächelte freundlich. Seine Frau nickte stumm, aber zustimmend.
John las langsam vor, Buchstabe für Buchstabe. »Es tut mir leid, in Ihren Ohren müssen meine samoanischen Sprachversuche geradezu kümmerlich klingen.«
Auf Karls Gesicht erschien ein breites Grinsen, und Victoria hatte den Eindruck, dass sich eine gerade eben noch verschlossene Tür vor ihnen öffnete.
Aus seinem Mund klang das Wort wie das sanfte Plätschern von Regen. »So nennt man dieses Haus. Der alte Besitzer hat es so genannt. Es ist ein guter Name. Es heißt so viel wie
Haus des Glücks.
«
»Haus des Glücks.« Victoria wiederholte das Wort auf samoanisch und versuchte, den richtigen Tonfall nachzuahmen. Ihr Blick wanderte von der Inschrift über das Meer zu den Gesichtern der beiden Samoaner, deren dunkle Augen leuchteten. »Sie haben vollkommen recht. Es ist ein wunderbarer Name.«
Apia, 16 . Oktober 1891
Als ich heute morgen meine Bibel aufschlug, las ich im 139 . Psalm folgenden Vers: »Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand da selbst führen und deine Rechte mich halten.«
So ist es mir ergangen. John und ich sind auf den »Flügeln der Morgenröte« um die halbe Welt gereist, um uns »am äußersten Meer«
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