Haus des Glücks
Spätestens bei der Geburt unseres Kindes.«
»Du wirst aber nicht seine Krankenschwester werden, das musst du mir versprechen!«
»Ich weiß nicht …«
»Victoria!« John ergriff ihren Arm und sah sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Zorn an. »Du ziehst doch nicht ernsthaft in Erwägung, das Angebot dieses unverschämten Quacksalbers anzunehmen?«
»Warum nicht? Ich bin schließlich Krankenschwester, ich habe medizinische Erfahrung. Und er ist ein qualifizierter Arzt, glaube mir, ich kann das beurteilen. Ich kann ohne Zweifel viel von ihm lernen.«
»Und wozu soll das gut sein? In ein paar Monaten wirst du Mutter.«
»Und du bist der Ansicht, dass das allein ausreicht, meine Tage zu füllen? Bist du der Meinung, dass ich kein Recht darauf habe, mich weiterzubilden und einer Profession nachzugehen, nur weil ich ein Kind haben werde?«
»Natürlich. Als Mutter wirst du für diesen Unsinn gar keine Zeit haben. Es erwarten dich zahllose andere Pflichten und Aufgaben.«
»Kochen, putzen, waschen?«
»Nicht doch. Dafür gibt es hier Personal. Darum brauchst du dich selbstverständlich nicht zu kümmern. Aber …«
»Welche Aufgaben gibt es denn sonst noch? Teekränzchen und Gesellschaftstratsch?«
»Na, was die anderen Damen eben so tun – Orgelspielen, Kinder unterrichten. Du wirst schon etwas finden.«
»Ich bin aber keine der anderen Frauen.« Sie spürte, wie ihr die Zornesröte in die Wangen stieg. Bisher hatte sie immer gedacht, dass John sie in ihren Anliegen unterstützte und sogar ein bisschen stolz auf sie war. Aber jetzt erkannte sie die Wahrheit: Er war keinen Deut besser als die anderen Männer. »Hör mir zu, John Seymour: Wenn du der Meinung bist, dass ich mich fortan nur noch um Windeln, Babybrei und Abendessen bei den Honoratioren von Apia kümmere, hast du dich getäuscht! Im Leben einer Frau kann es mehr Dinge geben, selbst wenn sie Kinder hat. Und das werde ich dir beweisen!«
»Aber …«
Doch sie ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen. »Mein Entschluss steht fest. Ich werde das Angebot des Doktors annehmen. Da kannst du dich sträuben und so viele Einwände anbringen, wie du willst!«
»Victoria! Bitte hör doch …«
Doch sie hörte nicht. Wütend stürmte sie an ihm vorbei zum Hotel. Das wäre noch schöner, dass sie sich von ihrem Ehemann vorschreiben ließ, wie sie ihr Leben zu gestalten hatte. Aber sie würde es ihnen zeigen – allen voran Doktor von Kolle und John.
Bis zum Tee hielt sie es durch, zornig auf John zu sein. Dann jedoch zeigte er ihr das Haus, das der Gouverneur ihnen zugedacht hatte, und sie vergaß ihren Streit und die Wut auf ihn, auf den Doktor und alle anderen Männer auf der Welt.
Das Haus lag in Sichtweite des Hafens am Rand von Apia, nur wenige Meter vom palmengesäumten Strand entfernt. Wie alle Häuser der europäischen Siedler war es aus Holz gebaut und hatte einen weißen Anstrich. Eine Treppe führte zur überdachten, offenen Veranda, von der aus man direkt auf das türkisblaue Meer schauen konnte. Im Garten wuchsen Bananen und exotische Blumen in allen Farben des Regenbogens. Das Innere des Hauses war geräumig. Im Erdgeschoss gab es neben einer Empfangshalle, einer gut ausgestatteten Küche und zwei kleinen Dienstbotenkammern einen großzügigen Salon mit Kamin, ein daran angeschlossenes Esszimmer, das man mit Hilfe von Flügeltüren abtrennen konnte, und ein Herrenzimmer. Im Obergeschoss befanden sich fünf Schlafzimmer und zwei Bäder mit Badewannen. Die geschmackvollen Möbel waren von guter Qualität. Sogar das Personal, ein älteres samoanisches Ehepaar, das sich um Garten, Küche und Haushalt kümmerte, gehörte bereits dazu. Durch die großen Fenster flutete das Licht ungehindert herein. Es war, als hätte das Haus nur auf sie gewartet.
»Was sagst du?«, erkundigte sich John, als sie ihren Rundgang beendet hatten.
»Sie können sich auch noch zwei andere Häuser ansehen«, sagte Wilhelm Greggersen, der Sekretär des Gouverneurs, der sie bei der Besichtigung begleitete.
Victoria antwortete nicht, sie konnte nicht. Sie stand auf der Veranda, sah auf das Meer hinaus und kam sich vor wie in einem Traum. Sie hörte das Lachen von Kindern, die im Sand spielten und sich gegenseitig jagten, so dass das Wasser an den nackten, braungebrannten Beinen emporspritzte. Von hier aus würde sie ihnen bei ihrem Spiel zuschauen und abends mit John in den Korbsesseln sitzen, die Sterne beobachten und der sanften Brandung, dem Wind in den
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