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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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Zimmer zu streichen und die Stühle zu reparieren, aber entscheiden muß das natürlich der Doktor selbst. Er scheint ein sturer Esel zu sein. Ich bin gespannt, wie wir beide zurechtkommen werden!

17
    Winter 1893
    F riedrich saß an seinem Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände. Er hatte viel gearbeitet in letzter Zeit, ungewöhnlich viel. Er fühlte sich ausgelaugt, müde und erschöpft. Ein dumpfer Schmerz breitete sich immer mehr in seinem Kopf aus, bis er ihm fast die Schädeldecke zu sprengen schien. Wenn er sich wenigstens in einen abgedunkelten Raum zurückziehen, sich hinlegen, schlafen könnte, wären die Schmerzen wahrscheinlich besser geworden. Aber so nahmen sie von Tag zu Tag zu. Ohne Zweifel eine Folge der Überanstrengung. Eigentlich hätte er seine Augen schonen, kürzertreten müssen. Aber es war ihm nicht vergönnt.
    Seit er auf Samoa lebte, hatte er sich um jene Verletzte und Kranke gekümmert, die sich mit ihren Hausmitteln und den Tinkturen, die Petersen in seinem Geschäft verkaufte, nicht mehr helfen konnten. Seine Hilfe war nur gelegentlich in Anspruch genommen worden, und so hatte er sich bislang auch selbst gesehen – er war der Mann für den Notfall. Gottlob waren sowohl Unfälle als auch schwerwiegende Erkrankungen eher selten auf der Insel. Doch in den letzten drei Monaten war die Patientenzahl sprunghaft angestiegen. Wurden die Leute in Apia häufiger krank oder hatten sie plötzlich mehr Vertrauen zu ihm? Die Menschen waren dieselben, es hatte in der Zwischenzeit weder Unfälle noch Seuchen noch Katastrophen gegeben, er war derselbe. Das Einzige, was sich geändert hatte, war Victoria. Seit diese Frau in seiner Praxis schaltete und waltete, kamen von Tag zu Tag mehr Leute zu ihm. Wie sie das anstellte, hätte er nicht sagen können, aber es war eine Tatsache. Gerade in diesem Augenblick hörte er sie im Wartezimmer rumoren. Insgeheim hatte Friedrich ihre Maßnahmen belächelt – ein neuer Anstrich, das Rauchverbot, täglich frische Blumen auf dem kleinen Tisch – aber es schien zu funktionieren. Die Leute kamen in Scharen zu ihm, und in der Folge hatte sich seine Sehkraft rapide verschlechtert. Andererseits gefiel es ihm. Wenn er sich jetzt abends mit seinem Freund Albert zu einem Glas Rum und einer Pfeife traf, war er zwar müde und sein Schädel platzte, aber er hatte wenigstens das Gefühl, etwas Sinnvolles geleistet zu haben. Dennoch sehnte er sich zuweilen nach den ruhigen Tagen, als er noch am frühen Nachmittag von der Veranda des Gasthauses aus mit einem guten Tropfen im Glas und einer Pfeife in der Hand die Schiffe im Hafen beobachten konnte. Man sollte einen alten Gaul nicht auf die Rennbahn schicken. Schon gar nicht bei dieser Hitze und Feuchtigkeit.
    Es klopfte, und die Tür öffnete sich. Hastig richtete er sich auf.
    »Herr Fahrenkron ist da, Herr Doktor.« Victoria blieb in der Tür stehen und sah ihn an. Sie trug ein bodenlanges Kleid, darüber eine weiße Schürze, wie die Krankenschwestern in Deutschland. Er trug eine Leinenhose und Hemdsärmel, trotzdem rann ihm der Schweiß von der Stirn, und diese Frau sah so frisch aus wie ein Frühlingstag an der Ostsee. Ihr Anblick machte ihn wütend. »Ist alles in Ordnung?«
    Friedrich fühlte sich beobachtet. Auf Schritt und Tritt schienen ihn ihre blauen Augen zu verfolgen, jeder Handgriff, jede Bewegung stand unter Aufsicht. Er konnte nicht einmal mehr tagsüber ein Glas Rum trinken, ohne dass es von ihr bemerkt worden wäre. »Selbstverständlich«, sagte er unwirsch und verwünschte den Tag, an dem er Victoria Seymour als Hilfe in seine Praxis geholt hatte. Diese Frau war Segen und Fluch zugleich. Ob sie sein Geheimnis bereits kannte? »Weshalb kommt er denn?«
    »Aus demselben Grund wie das letzte Mal«, antwortete sie.
    »Schicken Sie ihn herein.«
    Victoria trat zur Seite und ließ den korpulenten Plantagenbesitzer in den Behandlungsraum treten. Friedrich ging ihm entgegen und reichte ihm zur Begrüßung die Hand.
    Es war mittlerweile der siebte Patient für heute, und der Tag war noch nicht vorüber. Früher hatten ihn im Laufe einer ganzen Woche höchstens sieben Patienten aufgesucht, den Rest seiner Zeit hatte er auf der Veranda des Gasthauses, in seinem Korbsessel oder am Meer verbracht, geraucht, mit Freunden getrunken und Karten gespielt. Dazu hatte er mittlerweile kaum noch die Gelegenheit.
    »Wie geht es Ihnen, Herr Fahrenkron?«
    Der Mann mit dem fleischigen, roten Gesicht schüttelte den Kopf.

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