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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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ob von Kolle selbst diesen Mißstand nicht sieht oder ob er ihn nicht sehen will. Vielleicht hat er auch keine Zeit, sich darum zu kümmern. Offenbar fehlen ihm Angestellte, die diese Arbeit für ihn erledigen könnten, denn die Dienstbotenkammer, die dem Wartezimmer direkt gegenüberliegt, ist unbewohnt.
    Diese Kammer wird zukünftig mein Reich sein. Hier kann ich mich umziehen. Es gibt einen Schrank für meine Sachen, einen Tisch für Korrespondenz und andere Bürotätigkeiten, die ich, wenn ich von Kolle richtig verstanden habe, ebenfalls übernehmen soll, und ein Bett, sofern meine Anwesenheit zur Überwachung eines Patienten über Nacht notwendig sein sollte. Wenigstens ist dieses Zimmer sauber. Trotzdem stand ich kurz davor, den Entschluß zu fassen, die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen. Wieso soll ich mich mit dem unordentlichen Doktor herumärgern? Ich habe schließlich eine eigene Familie, um die ich mich kümmern muß!
    Doch dann öffnete von Kolle mir die Tür zum Behandlungszimmer und der Geruch von Schmierseife, frisch gewaschener Wäsche und Äther schlug mir entgegen. Sofort war ich in Vaters Praxis und im Marienkrankenhaus. Wie habe ich diesen Geruch vermißt! Es mag komisch klingen, und vermutlich bin ich nicht ganz bei Verstand, aber für mich ist es wie der Duft von Weihnachtsplätzchen. Oder der Duft von Maiglöckchen auf meinem Geburtstagstisch. Es ist ein Stück Heimat. Verrückt, nicht wahr? Aber zum Glück ist dies mein Tagebuch, das ich in meinem Schreibtisch verschlossen habe, und niemand wird es je lesen und von meinem »Spleen«, wie John es sicher nennen würde, erfahren.
    Das Behandlungszimmer war zur Abwechslung eine angenehme Überraschung – nicht allein wegen dieses herrlichen, unverwechselbaren Duftes. Natürlich war ich selbst schon einige Male als Patientin dort, aber bisher habe ich nicht so auf die Details geachtet.
    Es ist sauber, es ist aufgeräumt und erstaunlich gut ausgestattet. Im Instrumentenschrank befinden sich alle Instrumente, die für Operationen jeder Art benötigt werden: Skalpelle, Scheren, Zangen, Klemmen und zwei verschieden großen Sägen für Amputationen – Gott möge verhüten, daß ich ihre Verwendung je miterleben muß! Verbandszeug in ausreichender Menge ist da, Tücher, Nahtmaterial, Spritzen, mehrere Schüsseln und Schalen zur Reinigung. Der Medikamentenschrank hingegen ist recht spartanisch eingerichtet, aber ich denke, man kann auf einer Südseeinsel nicht die Ausstattung einer Hamburger Apotheke erwarten. Dennoch fehlt nichts Wichtiges. Es gibt Chinin gegen Fieber, Laudanum bei nervösen Störungen, Pfefferminzöl, Alkohol und Jodtinktur zum Reinigen, Äther, Rizinusöl. Besonders interessant fand ich die Opiumtinktur, die von Kolle nicht nur gegen Schmerzen, sondern offenbar auch mit Erfolg bei hartnäckigem Durchfall einsetzt. Und dann war noch ganz hinten im untersten Regal eine große braune Flasche ohne Etikett. Von Kolle bezeichnete es als »bewährtes Mittel für besondere Fälle«. Auf meine Frage und nach meiner Geruchsprobe gab er schließlich zu, daß es sich ganz einfach um Rum handelte. Seltsame Behandlungsmethoden! Hoffentlich wendet er sie nicht permanent bei sich selbst an.
    Im angrenzenden Zimmer befindet sich das »Krankenhaus«, das der Gouverneur so stolz bei unserer Ankunft erwähnt hatte. Ich war neugierig darauf und maßlos enttäuscht – ein Raum, vier Betten mit Kopfkissen und Decken. Das war es! Von Kolle sagte, daß das Zimmer meist leer stehe, nur im Fall von besonders schweren Erkrankungen oder im Anschluß an Operationen nehme er dort Patienten auf. Offenbar sah man mir meine Enttäuschung an, denn er entschuldigte sich sofort für die bescheidenen Verhältnisse und die unvollkommene Ausstattung. Er war richtig rührend in seiner Verlegenheit. Dabei kann er doch nichts dafür! Im Gegenteil. Ich finde es großartig, was er hier am Rand der Welt aufgebaut hat. Nur für das verwahrloste Wartezimmer muß er sich schämen. Doch darum werde ich mich in Zukunft kümmern. Mein Aufgabenbereich, neben der Assistenz bei Untersuchung und Behandlung, wird hauptsächlich die Instrumentenpflege und die Vorratshaltung sein. Zurzeit ist alles in einem tadellosen Zustand. Und da kein Patient kam, habe ich bereits heute die Zeit dazu genutzt, den Aschenbecher zu leeren und das Fenster zu putzen.
    Wenn ich den alten Kolle richtig verstanden habe, ist es oft so ruhig in der Praxis. Möglicherweise kann ich Karl überreden, das

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