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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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heruntergefallen und durch die zerbrochene Fensterscheibe wehte der laue Abendwind herein. Nur die Wiege stand mitten im Raum und pendelte hin und her, als würde eine unsichtbare Hand sie sanft schaukeln.
    Im nächsten Augenblick war Victoria bei ihrem Sohn. Sie nahm das weinende Kind aus seinem Bettchen und drückte es an sich. »Ist gut, mein Schatz«, flüsterte sie. »Mami ist bei dir, alles ist gut!« Schluchzend streichelte und küsste sie ihren kleinen Sohn. Dann spürte sie zwei starke Arme, die sie beide umfassten. John. Auch ihm liefen die Tränen über die Wangen.
    »Was war das?«, fragte sie nach einiger Zeit.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber wenn euch beiden etwas passiert wäre …« Er brach ab und drückte sie noch stärker an sich.
    »Alles in Ordnung?« Karls Stimme ließ sie aufblicken. Der Samoaner stand in der Zimmertür und nickte ihnen zu. »Alles in Ordnung.«
    »In Ordnung?«, schrie Victoria auf. Sie zitterte am ganzen Körper. »Karl, was um Himmels willen war das?«
    »Nur der Zorn vom Erdgott«, sagte er leichthin, als sei dieses Ereignis etwas ganz Alltägliches. »Nicht schlimm. Manchmal grollt er. Dann wackelt alles. Ist aber schnell vorbei. Am besten ist, im Freien zu sein, wenn der Erdgott zornig ist. Gerade in den Häusern von Weißen. Sonst fallen die Bretter auf den Kopf.«
    »Das nächste Mal wissen wir Bescheid«, sagte John. Seine Stimme bebte noch. »Passiert das oft?«
    Karl zuckte mit den Schultern. »Mal so, mal so«, sagte er unbestimmt. »Ist schon immer so gewesen. Manchmal spürt man es nur ein ganz bisschen unter dem Fuß. Dann ist es wieder so schlimm, dass sogar Palmen zittern und umfallen.« Er machte ein grimmiges Gesicht, ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte sich, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. »Aber nicht so schlimm. Schlimmer ist der Zorn seines Bruders. Der frisst die Fische, saugt das Meer weg und spuckt es über die ganze Insel. Gefährlich. Schon viele sind ertrunken.«
    Victoria sah ihn entsetzt an.
    »Aber nicht heute«, fügte er rasch hinzu. »Das Meer ist da. Man kann es von der Veranda sehen.«
    John stellte einen Stuhl auf und rückte eines der Bilder gerade. »Ich gehe hinunter und schaue nach, was alles kaputtgegangen ist«, sagte er zu Victoria und streichelte ihr sanft über den Rücken. »Ich bin froh, dass euch nichts passiert ist. Bleibst du bei Alexander?«
    »Ja«, antwortete sie und setzte sich auf den Stuhl. »Ich warte, bis er eingeschlafen ist.«
    Sie wiegte das schreiende Kind in ihren Armen und summte leise das Lied, das er am liebsten mochte. John schloss behutsam die Tür hinter sich.
    Endlich beruhigte sich der Kleine. Sein Weinen ging allmählich in ein Wimmern über, und schließlich entrangen sich seiner kleinen Brust erschöpfte Seufzer. Als er ruhig und gleichmäßig atmete, öffnete sich die Tür, und John trat ein.
    »Wie geht es ihm«, fragte er, während er auf Zehenspitzen näher schlich.
    »Er ist gerade eingeschlafen«, flüsterte Victoria. »Wie sieht es unten aus?«
    »Wüst«, sagte John, hockte sich neben sie auf den Boden und stützte das Kinn auf die Armlehne. »Es ist ein heilloses Durcheinander. Der Bücherschrank ist umgefallen. Ich fürchte, da muss der Tischler ran. Außerdem ist eine Fensterscheibe im Wohnzimmer zerbrochen, und etliche Dielen werden wir auswechseln lassen müssen. Und dein Geschirr, die Gläser …« Er warf ihr einen bedauernden Blick zu. »Es ist leider nicht mehr viel davon übrig.«
    Sie schloss kurz die Augen. Ihr schönes Service! Wie war sie glücklich darüber gewesen, dass es die weite Reise unbeschadet überstanden hatte! Dann sah sie auf das kleine Gesicht in ihren Armen hinab, und die Dinge rückten an ihren richtigen Platz.
Scherben bringen Glück.
»Wir sind gesund, John«, sagte sie leise. »Das allein zählt.«
    Er nickte und strich seinem Sohn sanft über den Kopf. Dann sah er sie an. »Ich liebe dich.« Seine Stimme klang heiser. »Und was ich da vorhin gesagt und getan habe …«
    »Das spielt jetzt keine Rolle, John.«
    »Doch, für mich schon. Ich war wie von Sinnen. Ich kann dir nicht einmal mehr erklären, weshalb. Du musst mich für ein Scheusal halten. Ich weiß nicht, ob Gott dieses Beben geschickt hat, um mich zur Vernunft zu bringen. Jedenfalls ist mir dadurch klargeworden, wie wichtig du für mich bist. Wie wichtig ihr beide für mich seid. Du hast recht. Ich lasse euch im Stich. Und das, obwohl es mein größtes Glück

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