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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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»Nach dem Rizinusöl, das Sie mir das letzte Mal gegeben haben, ging es ein paar Tage lang deutlich besser. Aber mittlerweile ist es genauso schlimm wie vorher. Außerdem drückt es jetzt hier.« Er zeigte auf den Bereich unter seinem rechten Rippenbogen.
    »Ich muss Sie untersuchen. Ziehen Sie bitte Hemd und Hose aus und legen Sie sich auf die Liege.«
    Victoria half dem Patienten, sich auszustrecken. Unter ihren aufmerksamen Blicken beugte sich Friedrich über ihn und tastete den umfangreichen Bauch ab.
    Der Plantagenbesitzer war bereits vor einigen Tagen mit Schmerzen zu ihm gekommen. Er hatte eine Verstopfung diagnostiziert und Rizinusöl verordnet. Offenbar war die Erleichterung nur von kurzer Dauer gewesen. Er nahm sein Stethoskop und legte es dem Mann auf den Bauch. Die Darmgeräusche klangen normal, Leber und Gallenblase waren druckschmerzhaft. Alles in allem war es ein Befund, wie man ihn für gewöhnlich bei Menschen fand, die ständig zu viel und zu fetthaltige Speisen zu sich nahmen. Es war nichts Ernstes, aber wenn der Mann Pech hatte, konnte sich daraus eine Gallenblasenentzündung mit lebensgefährlichen Komplikationen entwickeln. In seiner Praxis früher in Berlin hatte Friedrich zahlreiche fettleibige Patienten behandelt – diese Leute waren einer von vielen Gründen, weshalb er Deutschland den Rücken gekehrt hatte. Auf Samoa waren solche Befindlichkeitsstörungen glücklicherweise eher selten. Die Menschen hier auf der Insel arbeiteten hart, um der Südsee so etwas wie ein europäisches Lebensgefühl abzutrotzen. Neben der Arbeit auf den Plantagen, den mittlerweile ungezählten Experimenten, anständiges Bier zu brauen, und den recht erfolglosen Versuchen, Lebensmittel haltbarer zu machen, blieb wenig Zeit für einen ausschweifenden Lebensstil. Der korpulente Herr Fahrenkron bildete die Ausnahme. Er würde seine Ernährungsgewohnheiten umstellen müssen, ob er wollte oder nicht.
    Friedrich richtete sich auf. Er spürte Victorias Augen in seinem Nacken und für einen kurzen Moment überlegte er, ob er nicht einen Einlauf anordnen sollte, damit sie ihn endlich in Ruhe ließ. Dem Patienten würde diese Maßnahme mit Sicherheit guttun. »Kein Grund zur Sorge, Herr Fahrenkron«, sagte er zu dem Mann, ergriff seine Hand und half ihm, sich aufzusetzen. »Sie leiden unter Verdauungsstörungen. Rizinusöl wird schnell Abhilfe schaffen. Sie sollten es in den nächsten zwei Wochen ruhig alle zwei Tage nehmen. Haben Sie noch etwas davon zu Hause?«
    »Ich glaube schon. Da müsste ich meine Frau fragen.«
    »Wenn nicht, schicken Sie jemanden zu Petersen, der hat Rizinusöl immer vorrätig. Außerdem verordne ich Ihnen Kümmelöl, um die Verdauung zu regulieren. Und Sie sollten in der nächsten Zeit auf den Genuss von fetten Speisen wie Schweinefleisch verzichten.«
    »Sie haben gut reden, Doktor«, brummte der Mann und zog sich die Hosenträger hoch. »Sie haben wohl keine eingeborenen Arbeiter, die jeden noch so kleinen Anlass feiern wollen und Ihnen ständig Gebratenes anbieten. Ablehnen kommt da nicht in Frage, sonst sind die Burschen beleidigt und kommen ein paar Tage lang nicht zur Plantage. Und wo soll ich das Kümmelöl herbekommen? Hat Petersen das auch in seinem Laden?«
    »Nein, aber ich habe einen Vorrat«, sagte er. »Ich gebe Ihnen ein Fläschchen mit, Herr Fahrenkron.« Friedrich ging zu dem Arzneischrank und holte eine kleine braune Arzneiflasche heraus. »Nehmen Sie vor jeder Mahlzeit zehn Tropfen mit etwas Zucker ein. Ich bin sicher, dass es Ihnen schon bald bessergehen wird.«
    »Danke, Herr Doktor. Was bin ich Ihnen schuldig?«
    »Zu meinem großen Glück regelt das Schwester Victoria. Sie begleitet Sie nach vorne.«
    »Schwester, was bin ich dem Doktor für die Behandlung schuldig?«
    Sie nannte ihm eine Summe. »Kümmelöl ist ein ausgezeichnetes Mittel. Es wird Ihnen bestimmt schnell helfen, Herr Fahrenkron.« Friedrich hörte sie förmlich lächeln. »Aber ich sehe gerade, dass der Doktor Ihnen versehentlich eine angebrochene Flasche gegeben hat. Ich hole rasch eine neue.«
    Victoria kam in das Behandlungszimmer, eilte zum Arzneischrank und tauschte die Flaschen aus. Friedrich hörte, wie sie Herrn Fahrenkron endgültig verabschiedete und die Tür hinter ihm schloss. Als sie zurückkehrte, stellte sie die braune Arzneiflasche vor ihm auf den Schreibtisch.
    Er runzelte die Stirn und sah auf. Das Lächeln war von ihrem Gesicht verschwunden, und Friedrich fühlte, wie sein Blutdruck sank.

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