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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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ist, dich glücklich zu sehen.« Er fuhr sich durch das Haar. »Was ich dir sagen will, Victoria: Wenn es dir so viel bedeutet, in der Praxis zu arbeiten, solltest du es tun.«
    »Und das ist deine ehrliche Meinung?« Victoria sah ihn forschend an. »Das sagst du jetzt nicht nur, weil dieses Beben dir noch in den Knochen steckt und du Gottes Zorn fürchtest?«
    »Nein. Ich stehe zu meinem Wort. Ich habe dich immer dafür geliebt und bewundert, dass du mehr aus deinem Leben machen wolltest als die anderen Frauen aus meiner Familie. Und was in Hamburg galt, sollte seine Gültigkeit auch am Ende der Welt nicht verlieren. Ich liebe dich.« Er sah sie mit einem Blick an, der ihr vor Zuneigung und Zärtlichkeit fast die Kehle zuschnürte.
    »Danke!«, flüsterte sie.
    John küsste sie. Zuerst zaghaft, als fürchtete er, sie könnte ihn zurückweisen. Als sie seinen Kuss erwiderte, wurde sein Kuss leidenschaftlicher. Schließlich nahm er ihr Alexander aus dem Arm, legte ihn behutsam in sein Bettchen zurück und führte sie ins Schlafzimmer.
     
    Apia, 25 . November 1892
     
    Unsere Aufräumarbeiten nach dem Erdbeben sind fast abgeschlossen. Die meisten in Apia haben ein paar ihrer Besitztümer eingebüßt. Der Tischler nimmt zurzeit keine Aufträge mehr an, und bei Petersens sind Gläser und Geschirr ausverkauft. Wir erwarten sehnsüchtig die nächste Lieferung, die hoffentlich in ein paar Wochen mit der » Lübeck« eintrifft. Aber Gott sei Dank, es wurde niemand verletzt, abgesehen vom Herrn Pfarrer, der in der Kirche über eine umgefallene Bank gestolpert ist und sich dabei das Knie aufgeschlagen hat. Diejenigen, die schon längere Zeit auf Samoa leben, sagen, daß solche Beben immer mal wieder vorkommen. Das sei ganz normal, und bisher sei noch nichts Schlimmes passiert. Sie behaupten, dass man sich mit der Zeit daran gewöhne, die Scherben zusammenkehre und zur Tagesordnung übergehe, als hätte es nur geregnet. Ich kann das nicht. Bei jedem lauten Geräusch zucke ich zusammen, und jede Nacht wache ich mehrmals auf, weil ich träume, daß das Haus über mir einstürzt. Und wenn ich daran denke, wie sich die Treppe vor meinen Augen bewegt hat, bricht mir der Angstschweiß aus allen Poren. Aber wer weiß, vielleicht sehe ich es in zehn oder zwanzig Jahren ebenso wie die anderen.
    Heute war mein erster Tag in Doktor von Kolles Praxis. John hat mich weiterhin in meiner Entscheidung unterstützt. Doch bevor er sich auf den Weg zu einer Plantage machte, hat er mir eingeschärft, mir nichts gefallen zu lassen und sofort die Praxis zu verlassen, falls der Doktor unverschämt werden sollte. Offenbar hatte Lottes Fürsprache gestern seine letzten Zweifel noch nicht beseitigen können, obwohl sie auch John gegenüber ihren Vergleich mit der Kokosnuß erwähnt hatte. Ein lustiges Bild. Doch wenn man seine grauen struppigen Haare betrachtet, ähnelt der Doktor tatsächlich einer Kokosnuß. Aber ich schweife ab.
    Pünktlich um neun Uhr, wie ausgemacht, war ich vor Ort. Doktor von Kolle schien mich schon hinter der Tür erwartet zu haben, denn ich hatte kaum geklopft, als er bereits öffnete. So wie heute habe ich ihn noch nie gesehen – das Haar ordentlich gekämmt, ein sauberer weißer Kittel mit silbernen Knöpfen. Er war sogar frisch rasiert. Von Kolle sah tatsächlich aus wie ein richtiger Arzt. Er erinnerte mich an einen der Oberärzte aus Vaters Innerer Abteilung. Wenn man von dem blutigen Pflaster an seinem Kinn absah. Offenbar hatte er heute früh Pech beim Rasieren. Oder er war aus der Übung.
    Zuerst zeigte er mir die Räumlichkeiten. Anfangs wurde mir angst und bange bei dem Anblick, der sich mir bot. Das Wartezimmer ist ein kleiner, mit schäbigen Möbeln lieblos eingerichteter Raum. Die fleckige, vergilbte Tapete löst sich an einigen Stellen bereits von den Wänden. Die Fenster starren vor Dreck. Die Stühle sehen aus, als könnten sie jederzeit zusammenbrechen, und die Zeitungen auf dem Tisch scheinen noch aus der Zeit zu stammen, als der Doktor auf die Insel gekommen ist. Was mich jedoch am meisten entsetzt hat, war der Gestank: Selbst wenn man es den wartenden Patienten gestattet, in den Räumlichkeiten eines Arztes zu rauchen, was in meinen Augen allein schon eine absolute Zumutung ist, sollte man dann nicht wenigstens den Aschenbecher täglich entleeren? Kein Wunder, daß die Patienten zum vereinbarten Termin lieber zu spät kommen, als in dieser verräucherten Abstellkammer warten zu müssen. Ich weiß nicht,

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