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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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den richtigen Intercostalraum finden?«
    Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das kann ich nicht.«
    »Wenn Sie es nicht machen, wird er sterben. Sie haben die Fähigkeiten. Ich weiß es.«
    Sie atmete hörbar aus. »Dann bleibt mir offenbar nichts anderes übrig. Aber ich warne Sie. Wenn Sie irgendjemandem auch nur ein Sterbenswort davon erzählen, werde ich …«
    »Bin ich verrückt? Soll ich da draußen herumposaunen, dass ich kaum noch die Hand vor meinen Augen sehen kann? Nein. Und wenn Ihre Idee funktioniert, heimse ich die Lorbeeren ein, inklusive einer Veröffentlichung im
Deutschen Ärzteblatt.
« Er räusperte sich. »Legen Sie los, Victoria. Unser Patient hat nicht mehr viel Zeit.«
    Sie legte dem Gouverneur die Maske auf das Gesicht und träufelte den Äther darauf. Friedrich sah das metallische Blitzen des Trokars, während sie halblaut die Rippen abzählte.
    »Kurz einstechen«, murmelte sie. »Es ist ein Gefühl, als ob man in ein Loch fällt. Ja, genau so fühlte es sich an! Am oberen Rippenrand entlang im flachen Winkel nach oben Richtung Lungenspitze schieben. So. Jetzt den Trokar entfernen, Schlauch dabei festhalten, sonst ziehe ich ihn wieder heraus. Zum Schluss den Sog einstellen.«
    Sie drehte an einem Rad an der Apparatur. Die Flüssigkeit in dem Kolben begann zu blubbern, und der Patient hustete. Hastig änderte sie den Sog. Das Geräusch des Geräts wurde leiser, und der Mann beruhigte sich etwas. Fast andächtig lauschten sie dem Plätschern.
    »Gratuliere, Frau Kollegin, es scheint zu funktionieren«, sagte Friedrich nach einer Weile.
    »Warten wir es ab.«
    »Hat sich Ihr Herr Vater darüber geäußert, wie lange der Patient an seinen Apparat angeschlossen bleiben muss?«
    »Im Falle des Empyems etliche Tage bis zwei Wochen. Aber für den Pneumothorax hat er natürlich keine Angaben gemacht.«
    »Wir werden es vom Befinden des Patienten abhängig machen«, entschied Friedrich und nickte. »Jetzt bleibt uns nur noch, den gebrochenen Knochen zu versorgen.« Er stellte sich an das Fußende der Liege und tastete den Unterschenkel ab.
    »Ich stimme Ihnen zu, Victoria, es ist die Tibia. Offenbar ein Trümmerbruch. Wir müssen versuchen, die Bruchstücke zu richten.«
    »In Europa haben sie begonnen, gebrochene Knochen mit Nägeln und Schrauben aneinanderzufügen. Die Ergebnisse sind hervorragend – habe ich im
Ärzteblatt
gelesen.«
    »In Europa haben die auch eine bessere Ausrüstung«, knurrte Friedrich. »Ich kann Sie kaum zu Petersen schicken, um eine Schachtel Zimmermannsnägel zu kaufen, oder? Wir machen es auf die gute alte Art. Wenn Sie an dem Bein ziehen, können wir den Knochen richten. Oder nein. Sie reponieren. Ich habe mehr Kraft als Sie.« Er nahm den Fuß zwischen beide Hände und zog an dem Bein, bis ihm die Schweißperlen auf die Stirn traten. »Sie sind schlank geworden, Victoria«, sagte er keuchend. »Wann ist …«
    »Vor vier Tagen.« Sie versenkte ihre Hände in der offenen Wunde. »Es ist ein gesundes Mädchen. Wir haben sie Johanna genannt. Nach meiner Schwester.«
    »Herzlichen Glückwunsch.«
    »Danke.«
    In diesem Moment hörten sie beide das Knirschen der Knochenenden, die gegeneinanderrieben. Es gab einen Ruck.
    »Sie können loslassen«, sagte Victoria. »Die Knochenfragmente liegen etwa so, wie Gott es vorgesehen hat.«
    »Ausgezeichnet. Nähen Sie jetzt die Faszien und die Muskeln aneinander, schließen Sie die Wunde und danach wird das Bein geschient und verbunden.« Friedrich gab leise seine Anweisungen. Er war sicher, dass Victoria alles richtig machte, auch wenn er es nicht sehen konnte.
    Als sie fertig waren, hoben sie den tief schlafenden und vergleichsweise ruhig atmenden Gouverneur vorsichtig in eines der Krankenbetten und schoben es mit der Drainage in das Krankenzimmer.
    »Gute Arbeit, Victoria«, sagte Friedrich und reichte ihr die Hand. Ein blutiger Händedruck unter Kollegen.
    »Was habe ich schon getan?« Sie trat ans Waschbecken und schrubbte sich die Hände mit einer Bürste sauber.
    »Das wissen Sie genau. Sie hätten es auch ohne mich geschafft. Meine Anwesenheit war nicht unbedingt erforderlich. Das gibt mir Hoffnung.«
    »Hoffnung? Worauf?«
    »Dass ich einen würdigen Nachfolger habe. Ich bitte um Verzeihung. Nachfolger
in
natürlich.«
    »Doktor! Sie haben mir doch versprochen, dass Sie bei den deutschen Behörden um die Entsendung eines neuen Arztes ersuchen!« Sie machte für ihn am Waschbecken Platz und schüttelte sich das

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