Haus des Glücks
Warum sagte er nicht einfach, dass er nicht genug sehen konnte, um zu operieren? Aus Stolz und Eitelkeit!
Du solltest dich schämen, Friedrich.
Umständlich trocknete er sich die Hände ab, jeden Finger einzeln. Glücklicherweise war Mechthild mit ihrem verletzten Mann beschäftigt, der nur noch von Zeit zu Zeit ein schwaches Stöhnen von sich gab. Offenbar begann die Opiumtinktur zu wirken.
Was soll ich nur tun?,
fragte sich Friedrich und fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen.
Lange kann ich es nicht mehr hinauszögern …
In diesem Augenblick hörte er Hufeklappern vor seinem Haus. Und nur kurze Zeit später stand Otto in der Tür, und hinter ihm kam Victoria!
»Der Gouverneur wurde beim Einschlag einer Kanonenkugel in das Rathaus verletzt«, erklärte Friedrich statt einer Begrüßung. »Wir müssen sofort operieren.«
Victoria nickte und band sich bereits ihre Schwesternschürze um. »Gehen Sie bitte, Mechthild«, sagte sie, nahm die Frau am Arm und zog sie von ihrem Mann weg. »Sie haben getan, was Sie konnten. Jetzt ist der Doktor an der Reihe.«
»Ich möchte aber hierbleiben«, protestierte sie heftig und wehrte sich.
Eine Weile rangen die beiden Frauen miteinander.
»Hören Sie!«, sagte Victoria schließlich scharf. »Sie werden nur im Weg stehen und den Doktor in seiner Arbeit behindern, zum Schaden Ihres Mannes. Und das wollen Sie doch nicht?«
Mechthild schüttelte den Kopf. »Nein, aber …«
»Sehen Sie, deshalb gehen Sie jetzt in das Wartezimmer.«
»Ich will aber nicht, dass er allein ist und …«
»Er ist nicht allein. Der Doktor ist da und ich bin da. Und ich verspreche Ihnen, dass Sie bei ihm sein können, wenn er wieder aufwacht. Und im Falle, dass es nicht gut um ihn stehen sollte, werden wir Sie rufen.«
Mechthild schluchzte auf und verbarg ihr Gesicht zwischen den Händen. Die Frau war eine giftige Schlange, aber in diesem Moment tat sie Friedrich leid.
»Sie meinen also, er könnte …«
»Wir wissen noch nichts Genaues. Nach der Operation kann Ihnen der Doktor bestimmt mehr sagen. Und jetzt gehen Sie bitte, wir müssen uns beeilen.«
Die Frau des Gouverneurs verließ tatsächlich den Raum.
Friedrich nickte Victoria zu. »Es freut mich, dass Sie kommen konnten«, sagte er.
»Das hatte ich Ihnen versprochen«, erwiderte sie. »Was liegt an?«
»Sagen Sie es mir.«
Geschickt schnitt sie die blutige Kleidung des Gouverneurs auf, inspizierte den Körper und zählte auf Lateinisch auf, was sie sah.
»Rechter Unterschenkel offene Fraktur, vermutlich Tibia, keine akute Blutung, links Hautabschürfungen. Oberschenkel beidseits unauffällig, Becken unauffällig. Abdomen gebläht, ansonsten unauffällig, offenbar kein Druckschmerz. Thorax paradoxe Atmung rechts, keine offene Fraktur. Hautabschürfungen an beiden Armen, kein Hinweis auf Frakturen. Hals gut beweglich, Schädelprellung rechte Stirnseite, keine Kopfplatzwunde, Kalotte intakt.«
»Lebensbedrohlich ist die Thoraxverletzung. Ich vermute einen Lungenriss infolge einer oder mehrerer gebrochener Rippen. Das sollten wir angehen. Um die Fraktur am Unterschenkel kümmern wir uns später.«
»Was haben Sie vor? Wenn Sie den Thorax öffnen, kollabieren beide Lungenflügel und der Mann erstickt.«
»Erstens werde nicht ich operieren, sondern Sie. Und zweitens …« Friedrich holte tief Luft. Sein Puls raste. »Für alternative Vorschläge bin ich dankbar.«
Einen Augenblick war es so still, dass sie das Ticken der Uhr an der Wand hören konnten.
»Wir könnten es mit der Drainage versuchen«, sagte Victoria schließlich. »Mein Vater hat sie zwar für die Behandlung des Empyems entwickelt, aber warum sollte damit nicht auch Luft abgesaugt werden können?«
Friedrich dachte einen Augenblick nach. »Gut«, sagte er schließlich. »Ich fürchte zwar, dass das gründlich danebengehen wird, aber es ist die einzige Chance, die wir haben. Und die der Gouverneur hat.«
Victoria holte den komplizierten Apparat aus dem Schrank.
»Sie wissen hoffentlich, wie das Ding funktioniert?«
»Glücklicherweise hat mein Vater eine Anleitung beigelegt. Ich habe sie mehrmals gelesen. Man muss in der Seite zwischen den Intercostalräumen den Trokar einschieben. Wenn ich Ihnen alles genau beschreibe …«
Friedrich schüttelte den Kopf. »Das hätte wenig Sinn. Sie werden es tun müssen, Victoria.«
»Aber …«
»Ich dulde keinen Widerspruch. Ich kann gerade erkennen, dass ein Mensch vor mir liegt. Wie soll ich da
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