Haus des Glücks
Wasser von den Händen.
Er lächelte schief. »Sie müssen verstehen, ich hatte bisher keine Gelegenheit, nach Deutschland zu schreiben. Die Blockade hat das verhindert. Wie Sie wissen, hat schon lange kein Schiff mehr den Hafen verlassen können. Außerdem bin ich dazu kaum noch in der Lage, und ich konnte diesen Brief doch keinem der Nachbarn diktieren. Sie aber waren nicht da und ich …«
»Sie wissen das doch nicht erst seit gestern!«
»Aber …«
»Sie sind unmöglich!« Victoria klang wütend und warf das Handtuch auf das Waschbecken. »Ich warne Sie, Doktor. Wenn Sie den Brief nicht bald schreiben, werde ich persönlich überall herumerzählen, dass Sie fast blind sind. Und jetzt hole ich Mechthild.«
Sie rauschte davon und kam gleich darauf mit der Ehefrau des Gouverneurs zurück.
»Es geht ihm den Umständen entsprechend. Die Operation ist gut verlaufen. Der Doktor wird Ihnen alles genau erklären«, hörte er sie sagen, bevor die beiden Damen auf Zehenspitzen im Krankenzimmer verschwanden.
Friedrich trocknete sich sorgfältig die Hände ab und lächelte. Sie konnte ihm nichts vormachen. Sie hatte es genossen, zu operieren. Sie war stolz auf sich. Und das zu Recht. Victoria Seymour war eine verdammt gute Ärztin. Auch ohne offizielle Prüfung.
Tanugamanono, 1 . Juli 1899
Dem Gouverneur geht es den Umständen entsprechend gut, er erholt sich langsam. Morgen oder übermorgen werden wir den Versuch wagen, die Schläuche zu entfernen. Vaters Gerät hat ein Wunder bewirkt, anders kann ich es kaum bezeichnen. Sobald dieser vermaledeite Krieg beendet ist und ein Schiff den Hafen verläßt, werde ich ihm schreiben, daß sein Apparat sogar hier, mitten in der Südsee, ein Leben gerettet hat.
Die Operation des Gouverneurs blieb nicht die einzige, die ich in den vergangenen Tagen durchführen mußte, es werden immer mehr Verwundete in die Praxis gebracht. Vielen ist mit einer Naht und einem Verband geholfen, doch andere müssen operiert werden. Und da der Doktor es nicht kann, richte ich die gebrochenen Knochen und nähe die verletzten Sehnen und Muskelstränge zusammen. Obwohl ich es hasse, Alexander, Konstantin und Johanna allein in der Obhut von Lottes Familie zu lassen, läßt mir der alte Herr keine Wahl. Seine Sehkraft ist mittlerweile so schwach, daß er ohne Hilfe nicht einen einzigen Patienten versorgen könnte. Manche würden es überleben, andere jedoch nicht. Und so stehe ich vor einer Frage, die mich den Rest meiner wenigen Stunden Schlaf kostet: Soll ich das Leben der Menschen in Apia für meine Kinder aufs Spiel setzen, oder wiegt das Wohl Fremder schwerer als das meiner Familie?
Ich habe die Beantwortung dieser Frage aufgeschoben und versuche, beidem gerecht zu werden. Deshalb bleibe ich tagsüber in Apia. Abends eile ich, so schnell die kleine Kutsche es vermag, zu den Kindern nach Tanugamanono zurück. Meistens spiele ich noch mit ihnen, singe ihnen Schlaflieder vor und denke dabei an die Patienten. Danach lese ich noch in einem Buch über Chirurgie oder Anatomie, bevor mir selbst die Augen zufallen. Im Morgengrauen stehe ich auf, streiche meinen schlafenden Lieblingen über die Köpfe und verlasse auf Zehenspitzen das Haus, um mit schlechtem Gewissen nach Apia zurückzueilen. Jeden Morgen hoffe ich, daß ich die Kenntnisse, die ich mir am Abend angelesen habe, nicht brauchen werde. Aber meist werde ich eines Besseren belehrt. Wartezimmer und Krankenstation füllen sich schneller, als uns lieb ist.
19
Sommer 1899
E s war etwa vier Wochen nach Beginn der Beschießung von Apia. Ein Sonntagabend. Der erste Sonntag seit vier Wochen, an dem Victoria dem Ruf der Kirchenglocke zum Gottesdienst wieder gefolgt war. Die Kanonen hatten nur selten einen Schuss abgegeben, und keine der Kugeln hatte Apia erreicht. Vielleicht wollten auch die kriegführenden Parteien den Tag des Herrn ehren. Warum dachte sie immer nur an die »kriegführenden Parteien« und nicht an Deutsche und Amerikaner? Die Antwort hatte sie schnell parat: Hier auf der Insel lebten Menschen aller Nationen friedlich zusammen. Sie selbst war Deutsche. Aber das, was da draußen geschah, hatte weder mit ihr noch mit ihren Nachbarn irgendetwas zu tun.
Den ganzen Tag über war es in der Praxis ruhig gewesen. Ein paar Leichtverletzte hatten behandelt werden müssen: Sie hatten Platz- und Schnittwunden genäht, Verstauchungen bandagiert, eine aufgeregte Schwangere mit Baldriantinktur beruhigt. Die übrige Zeit hatten sie und
Weitere Kostenlose Bücher