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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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den Beinen gehalten. Nun würde es bald ruhig werden. Und wenn die letzten Patienten genesen waren – wie sollte sie dann noch den Zusammenbruch verhindern? So wie andere es taten, die ihre Sorgen, ihre Trauer um Angehörige in Rum und Palmbier ertränkten? Aber das war nicht ihre Art. Victoria hob den Kopf. Bisher war sie in ihrem Leben von Kummer und Leid weitgehend verschont geblieben. Jetzt war es an der Zeit herauszufinden, was
ihre Art
war, mit den schlechten Seiten des Lebens umzugehen.

21
    Apia, 2 . November 1899
    Es ist mittlerweile zwei Wochen her, seit Mechthild und ihr Mann Samoa verlassen haben. Nach seiner Verletzung hat Georg seinen Rücktritt als Gouverneur angekündigt und um seine Rückkehr nach Deutschland gebeten. Ich kann nicht behaupten, daß ich ihnen nachweine, und den anderen Frauen scheint es ähnlich zu gehen. Unser Leben kommt mir ruhiger und friedlicher vor ohne Mechthilds strengen Blick, ihre »wohlgemeinten« Ratschläge oder ihre moralischen Vorträge. Bei ihrer Verabschiedung am Hafen, mit Blaskapelle und allem Brimborium, hat lediglich Paula Tränen vergossen. Sie tut mir ein bisschen leid. Mit Mechthild hat sie nicht nur ihre Busenfreundin verloren, sondern auch ihre eifrigste Mitstreiterin im Kampf gegen die allgemeine Verrohung und den Verfall der guten Sitten auf unserer Insel. Sie lebt seither still und zurückgezogen, und abgesehen vom sonntäglichen Kirchgang, trifft man sie selten auf den Straßen Apias an. Und so regt sich auch niemand darüber auf, daß ich seit Mitte Oktober mit Alexander, Konstantin und Johanna beim Doktor wohne. Auf diese Weise ist uns allen gedient: Wir haben ein Dach über dem Kopf, ich kann in der Praxis arbeiten, die Kinder bleiben in meiner Nähe, und nebenbei kann ich mich um den Doktor kümmern. Er ist mittlerweile doch recht hilflos, auch wenn er das niemals zugeben würde. Ich glaube, er ist froh, daß wir bei ihm sind und ich seinen Haushalt ein wenig ordnen kann. Seit wir hier wohnen, kommt auch Taisi fast jeden Tag vorbei. Er arbeitet im Garten und hilft seinem Vater bei den notwendigen Reparaturen. Die Kinder bringt er meist mit, was vor allem Konstantin und Alexander freut, die mit seinen beiden ältesten Jungs eng befreundet sind. Ich freue mich, wenn er da ist. Ich habe den Eindruck, dass es ein wenig heller wird. Manchmal sehe ich ihm bei der Gartenarbeit zu – von meinem Schlafzimmerfenster oder auch vom Behandlungsraum aus. Ich beobachte ihn, wie er mit ruhiger Hand die Bananenstauden stutzt oder Farn rodet, der in der Feuchtigkeit gedeiht wie Unkraut. Hast und Eile scheinen ihm ebenso fremd zu sein wie anderen Samoanern. Oft singt er leise dabei. Taisi hat eine wunderbare Stimme – tief und voll. Ich könnte ihm stundenlang zuhören. Wenn meine Aufgaben es zulassen, gehe ich zu ihm, und dann unterhalten wir uns. Er erzählt, was in Tanugamanono vor sich geht, von den Kindern, kleine harmlose Begebenheiten. Über John oder seine Frau reden wir nicht. Aber ich spüre ihre Anwesenheit. Es ist, als ob John mir bei diesen Gesprächen über die Schulter schaut. Dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen und kehre unter einem Vorwand wieder ins Haus zurück. Ich bin Witwe und eine Weiße! Ich kann schon das Gerede der Leute hören. Zum Glück ist Mechthild nicht mehr hier. Und doch schlägt mein Herz schneller, wenn ich nur an Taisis samtbraune Augen oder sein Lächeln denke. Ungehörig sind diese Gedanken allemal, doch das wäre mir gleich. Aber ist es auch eine Sünde? Verrate ich John, wenn ich in dieser Art an Taisi denke? Ich könnte im Boden versinken vor Scham. Und trotzdem …
    Georgs Nachfolger ist Wilhelm Solf, ein korpulenter Mann, dessen Haaransatz deutlich oberhalb der Stirn endet. Er kam vor drei Tagen in Apia an. Er nennt sich Munizialpräsident , was auch immer das sein mag. Offenbar liegt es daran, daß die Verträge, die Samoa offiziell als deutsche Kolonie bestätigen, noch nicht unterzeichnet sind. Sobald das geschehen ist, wird er neuer Gouverneur. Ich bin sicher, daß er unserer geliebten Insel zur Blüte verhelfen wird. Wilhelm Solf scheint ein vortrefflicher Mann zu sein. Er beherrscht mehrere Sprachen, unter anderem Sanskrit und Persisch, und hat sich bereits in der kurzen Zeit, die er hier ist, bemüht, einige Worte Samoanisch zu lernen. Selbst der Doktor scheint ihn zu mögen, und das will etwas heißen! Der alte Herr war unglaublich beeindruckt, als Herr Solf gestern beim großen Palolo-Fest, ohne mit der

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