Haus des Glücks
teuer. Es besteht aus feinster Baumwolle und chinesischer Seide, verziert mit echter Florentinerspitze. Frau von Recklingen hat viele Monate daran gearbeitet, und Sie ahnen nicht, wie lange es gedauert hat, die Stoffe zu beschaffen. Natürlich könnte ich Ihnen das Kleid verkaufen, falls Sie die Absicht hätten zu heiraten. Aber ich werde es Ihnen nicht überlassen, um es zu zerschneiden! Das geht unter gar keinen Umständen.«
»Wirklich?« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Und wenn einer Ihrer Söhne verletzt im Lazarett läge? Wenn ich Ihnen sagen müsste, dass der Doktor ihn leider nicht ordnungsgemäß versorgen kann und er statt mit sauberen Binden mit ein paar alten Lappen verbunden werden muss? Würden Sie dann immer noch so denken?«
Der Kaufmann wand sich. »Aber …«
»Ich tue das nur ungern, Herr Petersen. Aber wie Sie wissen, hat mir der Gouverneur gewisse Vollmachten erteilt. Wenn ich es für richtig halte, kann ich diese Waren einfach beschlagnahmen und Sie als Kollaborateur der Gegenseite ins Gefängnis bringen. Wollen Sie es darauf ankommen lassen?«
»Nein, auf keinen Fall. Aber …«
»Also rücken Sie endlich das Brautkleid heraus. Ich glaube nicht, dass bei der jetzigen Lage in nächster Zeit viele Ehen geschlossen werden.«
Petersen knirschte mit den Zähnen, als er das Kleid vom Bügel holte. »Dieser Krieg ruiniert mich noch vollständig«, knurrte er.
»Erzählen Sie das jenen, die bereits ihr Haus oder einen Angehörigen verloren haben«, sagte Victoria ungerührt, während sie dem Kaufmann dabei half, Brautkleid und Schleier zusammenzulegen. »Schreiben Sie es auf. Sollte dieser Konflikt jemals vorüber sein, wird der Kaiser sie bestimmt angemessen entschädigen.«
Petersen seufzte. »Darauf zähle ich besser nicht. Mitunter habe ich den Verdacht, dass die in Berlin keine Ahnung davon haben, was hier los ist.« Er verzog das Gesicht, als hätte er Schmerzen. »So ein feiner Stoff! Ich mag gar nicht daran denken, dass Sie das Kleid zerschneiden werden.«
»Glauben Sie mir, es gibt Schlimmeres. Und wenn Sie mit einem Splitter im Bauch oder einem gebrochenen Bein im Lazarett lägen, wären Sie auch über jeden sauberen Fetzen froh, mit dem wir Sie verbinden können. Guten Tag, Herr Petersen.«
Victoria eilte aus dem Geschäft und zum Krankenhaus zurück, wo sie bereits von Mechthild erwartet wurde. Nachdem sie gehört hatte, dass Victoria trotz Johns Tod weiter im Lazarett arbeitete, hatte sie sich freiwillig zum Dienst gemeldet. Sie hielt es »für ihre Pflicht als landestreue Deutsche und Christin«, wie sie ständig betonte. Victoria hingegen war der Ansicht, dass Mechthild es sich auf keinen Fall entgehen lassen wollte, ihr als arme, am Boden zerstörte Witwe unter die Arme greifen zu können. Doch den Gefallen tat sie ihr nicht. Wie sehr sie John vermisste und mit ihrem Schicksal haderte, ging nur sie selbst und ihr Kopfkissen etwas an. Tagsüber hatte sie Patienten zu versorgen. Wenigstens hatte Mechthild in ihrem Eifer, Gutes zu tun, auch Alwine und Klara überzeugen können. Die drei Frauen bereiteten die Mahlzeiten für die Verwundeten zu, wuschen Binden und Laken, fütterten die Verletzten und gaben ihnen zu trinken. Victoria war für ihre Hilfe dankbar. Und obwohl sie einander nicht besonders schätzten, galt zwischen ihnen für die Dauer des Krieges ein Waffenstillstand. Wenigstens das hatte dieser Wahnsinn bewirkt.
»Haben Sie die Binden bekommen, Victoria?«, fragte Mechthild.
»Nein, Petersen hat keinen Stoff mehr. Zum Glück habe ich noch das hier aufgetrieben«, sagte sie und legte das Brautkleid auf den Tisch. »Machen Sie sich bitte gleich mit Alwine an die Arbeit und schneiden Sie es in Streifen. Wenn wir die Stoffbahnen aufwickeln, können wir sie als Binden benutzen.«
»Aber das ist doch …«
»Was?«
»Das ist das Brautkleid, das Paula genäht hat!« Mechthild klang empört. »Chinesische Seide, Florentinerspitze, feinste Baumwolle! Sie wollen doch nicht allen Ernstes dieses Meisterwerk zerstören?«
»Wir haben keine Verbandsmaterialien mehr. Sofern Sie einen anderen, besseren Vorschlag haben, bin ich gern bereit ihn zu hören.«
Mechthild schüttelte den Kopf. »Paula ist meine Freundin. Ich werde sie nicht brüskieren!«
»Was ist denn?« Klara schüttete eine Schüssel mit blutigem Wasser in das Gebüsch. »Der junge Matrose von gestern braucht neue Verbände, Victoria. Haben Sie welche bekommen?«
»Hat sie nicht«, knurrte Mechthild.
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