Haus des Glücks
betrifft?«
»Herr Solf muss nicht alles wissen. Schon gar nicht am ersten Tag.« Er steckte sich seine Pfeife in den Mund. »Sie sind doch nicht etwa böse?«
»Nein. Ich überlege nur, ob ich als ersten Punkt auf meiner Wunschliste einen neuen Arzt setzen sollte.«
»Seien Sie vorsichtig mit Ihren Wünschen, Victoria«, sagte Friedrich und tippte ihr mit dem Mundstück seiner Pfeife auf die Schulter. »Sie wissen nicht, was kommt. Mein Nachfolger könnte noch schrecklicher sein als ich.«
Er lachte und ging mit ruhigen sicheren Schritten ins Haus. Wenn man ihn so sah, hätte man nicht für möglich gehalten, dass er nahezu blind war. Glaubte er wirklich, dass er einen Mann vom Schlage eines Wilhelm Solf auf Dauer täuschen konnte? Oder was hatte der alte Dickkopf vor? Dieses seltsame, fast schon leicht geheimnisvolle Lächeln, das seine Lippen umspielte, gefiel ihr gar nicht.
Sechs Uhr. Die Turmuhren der protestantischen, katholischen und baptistischen Kirche von Apia schlugen alle gleichzeitig.
»Ich habe den Eindruck, der Lärm wird jeden Tag schlimmer«, murrte Friedrich. Er saß auf seinem Stuhl in der Küche und trank ein Glas Kokosmilch. »Es scheint, als ob die Konfessionen einen Wettstreit miteinander ausfechten. Manchmal glaube ich, dass die Pfarrer der verschiedenen Kirchen ihre Uhren absichtlich vorstellen, nur um die Ersten mit dem Gebimmel zu sein.«
Victoria lachte.
Die Nachmittagssprechstunde war beendet, und sie begann mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Wie so oft leistete Friedrich ihr dabei Gesellschaft. Sie redeten über Patienten, über Gott, die Welt und Apia, während die Kinder im Wohnzimmer ein Würfelspiel spielten. Vor dem Fenster rauschte der Regen. Ein friedlicher Abend lag vor ihnen.
»Ich habe Ihren Anzug gebürstet und ihn im Schlafzimmer über den Stuhl gehängt«, sagte sie und schälte eine Zwiebel.
Friedrich verzog das Gesicht. »Anzug. Muss das sein? Ich mag diese Verkleidungen nicht.«
Victoria lächelte. »Immerhin wird morgen im Hafen die deutsche Flagge gehisst und Herr Solf offiziell zum Gouverneur ernannt. Da können Sie wohl kaum in Hemdsärmeln hingehen.«
»Ich hätte keine Schwierigkeiten damit«, brummte er. »Und Wilhelm auch nicht.«
»Das kann ich mir denken. Zwei Kerle aus dem gleichen Holz.« Victoria schüttelte den Kopf und holte eine Pfanne aus dem Küchenschrank.
»Er ist ein vortrefflicher Mann«, sagte Friedrich. »Gebildet, scharfsinnig, sagt, was er denkt. Er ist keiner von diesen schleimigen Lackaffen, die es sonst in Berlin zu etwas bringen.«
»Sie erzählen mir nicht Neues, Friedrich«, erwiderte sie.
»Das Einzige, was dem Mann noch fehlt, ist die richtige Frau an seiner Seite. Natürlich kann es keine gewöhnliche Frau sein mit Kaffeekränzchen und Stickrahmen. Nein, es muss eine mit Selbstbewusstsein sein, die ihren Mann steht, die ihm eine gleichberechtigte Partnerin wäre.«
»Und wo soll er solch ein Exemplar finden?«
»Hier. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«
Victoria schluckte, ihre Wangen brannten. Seit November war Wilhelm Solf ein häufiger Gast bei ihnen. Zuweilen kam er fast täglich zum Mittag- oder Abendessen. Bisher hatte sie immer geglaubt, dass er nur wegen Friedrich kam. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich kann zwar schlecht sehen, aber ich bin nicht blind. Und Wilhelm ist nicht entgangen, dass es noch einen weiteren Bewerber gibt.«
»Betätigen Sie sich jetzt etwa als Kuppler?«
»Nein. Ich wollte Ihnen nur die Augen öffnen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin Witwe, Friedrich!«
»Ja. Und wie lange wollen Sie es bleiben? Sie sind jung, Victoria. Sie haben Kinder. Und John ist tot! Jeder, der ihn kannte, bedauert es. Aber es ist nicht zu ändern!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Sie haben kein Recht, so mit mir zu sprechen, Friedrich!«, zischte Victoria wütend. »Und wenn Sie nicht augenblicklich …«
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Sie öffnete, und auf der Schwelle stand Taisi. Aus seinen schwarzen Haaren tropfte der Regen, sein Lava-Lava klebte an seinen schlanken braunen Beinen, der nasse Stoff ließ die Tätowierungen hindurchschimmern.
»Talofa«, sagte er mit seiner tiefen ruhigen Stimme. »Ich war fischen.« Er hielt eine Schnur hoch, an der ein halbes Dutzend Papageienfische baumelten, und sah Victoria an.
»Vielen Dank.« Sie nahm ihm die Fische ab, bevor sie sich in seinen dunklen Augen verlor. Sie spürte die Röte, die ihr in die Wangen
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