Haus des Glücks
Wimper zu zucken, die Würmer gegessen hat. Das gelingt nicht jedem – sowohl das eine wie das andere.
Morgen wird Herr Solf sich die Praxis ansehen. Ich glaube, der Doktor hofft, daß er sich in Berlin für eine bessere medizinische Ausstattung einsetzen wird. Ich bin gespannt, den Munizialpräsidenten, der seit seiner Ankunft Stadtgespräch Nummer eins ist, näher kennenzulernen.
Am frühen Nachmittag war es so weit. Wilhelm Solf kam in die Praxis. Victoria hatte die letzten zwei Tage genutzt, um mit Lottes und Karls Hilfe alles blitzblank zu scheuern, und jetzt zeigten sich die Räumlichkeiten in ihrem besten Licht. Die Instrumente blinkten, nirgendwo lag auch nur das geringste Stäubchen und im Wartezimmer stand ein Blumenstrauß auf dem Tisch. Während der Doktor den Munizialpräsidenten durch die Räume führte, richtete sie im Garten ein paar Erfrischungen an – frische Bananen, Kokosmilch und Tee.
»Das wäre auch schon alles, Herr Solf«, sagte der Doktor, als die beiden Männer wenig später zu ihnen stießen. »Mehr haben wir nicht zu bieten.«
»Und das Krankenhaus?«
Friedrich schüttelte den Kopf, bot ihm einen der freien Stühle an und nahm ebenfalls Platz. »Es existiert nicht. Wir benutzen das kleine Zimmer am Ende des Flurs, das ich Ihnen gezeigt habe. Und während des Krieges haben wir die Verletzten in einem Zelt hier im Garten versorgt.«
Herr Solf nickte. »Ich habe davon gehört. Ihre Verdienste um die Menschen hier auf der Insel sind sogar in Berlin gewürdigt worden – vermutlich nicht gebührend, aber immerhin.«
»Oh, nicht doch, ich habe einen Orden bekommen!«, erwiderte Friedrich mit einem schiefen Lächeln. »Soll ich Ihnen den zeigen? Er muss in irgendeiner Schublade liegen.«
Herr Solf lachte. Es war ein sympathisches Lachen. »Mir scheint, Sie machen sich nicht allzu viel aus dieser Auszeichnung, Herr Doktor!«
»Tatsächlich wären mir eine Ausrüstung nach neuem medizinischem Standard, ausreichend Medikamente und Verbandsmaterialien lieber gewesen. Aber die Herren Politiker in Berlin …«
»Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten, Herr Solf?«, unterbrach Victoria, bevor der Doktor sich schon am ersten Tag um Kopf und Kragen reden konnte, und reichte dem Munizialpräsidenten die Schale mit den Bananen.
»Gerne. Vielen Dank. Sie sind also Frau Seymour, nicht wahr?«, fragte er, und Victoria spürte, dass sich dahinter keine Neugierde, sondern Freundlichkeit verbarg. »Sind Sie Engländerin? Amerikanerin?«
»Nein«, sagte sie und nahm selbst ein Stück Banane. »Mein Mann stammte aus einer englischen Kaufmannsfamilie, die ihren Handelssitz in Hamburg hat.«
»Stammte?«
Ein aufmerksamer Zuhörer.
»Er kam vor drei Monaten bei dem Krieg ums Leben. Ich bin Witwe.«
»Das tut mir leid. Hat er gedient?«
»Nein. Unser Haus wurde getroffen und hat ihn unter den Trümmern begraben. Er wurde dabei so schwer verletzt, dass er kurz darauf gestorben ist.«
»Verzeihen Sie mir«, sagte er und legte kurz und mitfühlend seine Hand auf ihren Arm. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Haben Sie Kinder?«
»Drei. Zwei Söhne im Alter von neun und sieben Jahren und eine Tochter. Sie ist dreizehn Monate alt und lernt gerade laufen.«
»Wo sind die Kleinen denn jetzt?«
Victoria lachte. »Am Strand bei ihren Freunden. Ihnen wurde das Warten zu langweilig. Und Johanna holt ihren Mittagsschlaf nach.« Sie wurde ernst. »Bei dem Angriff, bei dem mein Mann gestorben ist, wurde alles zerstört, was wir hatten – unser Haus, das Kontor. Mir ist kaum mehr geblieben als die Kinder und das, was wir zu der Zeit am Leib trugen. Doktor von Kolle war so freundlich, uns bei sich wohnen zu lassen. Dafür helfe ich ihm in der Praxis und führe seinen Haushalt. Sonst nichts.«
Herr Solf blinzelte. »Warum erzählen Sie mir das?«
»Weil es sein könnte, dass Ihnen in der nächsten Zeit noch andere Geschichten zu Ohren kommen. Die Insel ist klein, und manche Leute langweilen sich.«
»Ich mag den Gesang von Vögeln, Frau Seymour. Trotzdem höre ich nicht hin, wenn die Spatzen auf den Dächern ihre Liedchen pfeifen. Das müssen sie tun, sonst wären sie nicht zufrieden.«
»Als John und ich nach Samoa kamen, hat mich der Doktor vor den Schlangen gewarnt, die es hier gibt, wobei er keine Reptilien meinte. Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, wie recht er hatte.«
»Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Frau Seymour. Ich bin Politiker. Im Vergleich zu einem Diplomatenball
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