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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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sprachen die beiden Männer leise, wie es auf Samoa Brauch war. Trotzdem begriff sie, dass sie unterschiedlicher Meinung waren. Zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte. Taisi diente seinem Vater voll Respekt und Liebe, und noch nie hatte sie gehört, dass er ihm widersprochen hätte.
    Er warf den Hammer auf den Boden und kletterte vom Schuppen. Das Dach war fertig. Doch Karl sprach weiter auf seinen Sohn ein. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter, zog ihn näher zu sich heran. Taisis Gesicht war verschlossen. Schließlich schüttelte er heftig den Kopf, zischte seinem Vater ein paar Worte ins Gesicht, befreite sich aus seinem Griff und war im nächsten Augenblick im Gebüsch verschwunden. Karl rief ihm noch hinterher, doch Taisi antwortete nicht.
    Lotte trat neben Victoria auf die Veranda. Sie schien besorgt zu sein.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte Victoria und wunderte sich, weshalb sie aufgeregt war. Fast wie damals, als sie mit den Eltern über ihre Zukunftspläne gesprochen hatte.
    Lotte schüttelte den Kopf und gab keine Antwort. »Hast du ihn überzeugt?«, rief sie stattdessen ihrem Mann zu, der mit schweren, langsamen Schritten zu ihnen kam.
    »Nein.« Er ging gebeugt, als würde er eine Last auf den Schultern tragen, die zu schwer für sein Alter war. Seine dunklen Augen waren voller Sorge. »Er will nicht hören.«
    Victoria blickte auf ihre Hände. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie wollte nicht neugierig und aufdringlich erscheinen und Lotte und Karl mit ihren Fragen belästigen. Andererseits fürchtete sie, dass ein Desinteresse die beiden ebenso verletzen konnte. Schließlich waren sie seit zehn Jahren gemeinsam durch zahlreiche Höhen und Tiefen gegangen, und beide hatten ihr oft mit ihrem Rat weitergeholfen. Noch während sie über das angemessene Verhalten grübelte, kam Lotte ihr zu Hilfe.
    »Taisi soll wieder heiraten«, antwortete sie, und Victorias Herz setzte unwillkürlich ein paar Schläge aus. »Aber er will nicht. Er ist verrückt geworden.«
    »Vielleicht trauert er noch um seine Frau?«
    Lotte seufzte wieder. »Es ist nicht gut, dass ein Mann allein auf seiner Matte schläft.«
    »Er braucht eine Frau«, stimmte Karl zu.
    »Vielleicht möchte er sich nur mehr Zeit lassen, um seine Wahl zu treffen«, sagte Victoria. »Seine verstorbene Frau war immerhin eine Taupou. Ich denke, es ist schwierig, eine würdige Nachfolgerin zu finden.«
    »Das ist es nicht. Er hat bereits gewählt.« Karl starrte düster in den Garten, in dem der Hibiskus gerade wieder zu blühen begann. »Aber dem können wir nicht zustimmen.«
    »Es ist, als würde er seine Hand nach den Sternen ausstrecken.« Lotte schüttelte den Kopf. »Aber er will nicht einsehen, dass es unmöglich ist. Er ist verrückt geworden.« Dann sah sie Victoria auf eine seltsame Art und Weise an – prüfend, abschätzend, durchdringend.
    Eine Ahnung stieg in ihr auf, die ihr Herz schneller schlagen ließ und ihr die Kehle zuschnürte. Sie erinnerte sich an Friedrichs Worte am Abend vor der Ernennung von Wilhelm Solf zum Gouverneur. Und sie dachte an die Kleinigkeiten, Gesten und Begebenheiten, die sie in den vergangenen Monaten schätzen und lieben gelernt hatte: Taisi, der ihr eine Hibiskusblüte, eine besonders schöne Muschel oder ein paar Fische brachte. Taisi, der fast jeden Tag kam, auch ohne seinen Vater und obwohl in Haus und Garten keine Arbeiten zu erledigen waren. Sein Lächeln, wenn er sie mit leiser, tiefer Stimme und einem Talofa begrüßte. Seine schönen, dunklen Augen, in denen immer ein Licht zu leuchten schien. Er war ein wunderbarer Mann. Aber nie im Leben hätte sie geglaubt, nicht einmal im Traum daran gedacht, dass er …
Konnte das wirklich sein?
Ihre Kehle wurde trocken, ihr wurde warm und gleichzeitig schwindelig. Aber vielleicht bildete sie es sich nur ein.
    Sie sah Lotte an und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Doch die alte Frau wich ihrem Blick aus.
    »Wir müssen gehen«, sagte Karl und nickte seiner Frau zu. »Die Sonne wird gleich untergehen.«
    Victoria sah dem alten Ehepaar nach. Sie war verwirrt. Und zum ersten Mal seit langer Zeit wünschte sie sich eine echte Freundin an die Seite, mit der sie hätte reden können.
     
    Apia, 20 . Dezember 1900
     
    Es ist kaum zu glauben, daß schon ein dreiviertel Jahr vergangen ist, seit Wilhelm Solf offiziell zum Gouverneur ernannt wurde. Er hat die kurze Zeit genutzt. Überall spürt man den neuen Wind, der auf der Insel weht. Auch

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