Haus des Glücks
stieg, eine wohlige Wärme, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete, während die Wut auf Friedrich innerhalb weniger Sekunden verraucht war. »Setz dich doch, Taisi. Ich wollte gerade anfangen zu kochen. Möchtest du mit uns essen?«
»Danke. Gern«, erwiderte er. Sein Lächeln ließ sein Gesicht leuchten.
»Ich sehe nach den Kindern«, sagte Friedrich und stand auf. Als er an Victoria vorbeikam, senkte er die Stimme zu einem Flüstern. »Verzeihen Sie, wenn ich zu weit gegangen bin. Aber Sie wissen, dass ich recht habe. Vertrauen Sie sich selbst, Victoria. Und sprechen Sie mit Wilhelm. Er hat es nicht verdient, im Ungewissen ausharren zu müssen.«
Friedrich stand auf, um sich anzukleiden. Er tastete nach seinem Hemd, der Hose, den Strümpfen und den Schuhen. Alles lag an seinem gewohnten Platz. Die kleine Uhr auf seiner Kommode schlug siebenmal. Es war noch früh am Morgen, die Sonne war gerade erst aufgegangen. Im Zimmer herrschte Halbdunkel. Doch er verzichtete darauf, eine Lampe anzuzünden. Das Licht hätte ohnehin kaum einen Unterschied für ihn bedeutet.
In der Küche klapperte Victoria mit dem Geschirr. Er hörte ihre Stimme, offenbar war eines der Kinder bei ihr, vermutlich Alexander, der Frühaufsteher der drei. Der Wasserkessel pfiff. Durch die Wohnung wehte der verlockende Duft von gebratenen Eiern. Sie hatte die Gewohnheiten ihres englischen Ehemannes übernommen. Jetzt profitierte er davon.
Kurz nachdem die Kriegsschiffe die Bucht von Apia verlassen hatten, waren die vier eingezogen. Nicht zu ihm, da machte er sich nichts vor, auch wenn Victoria ihn mittlerweile bei seinem Vornamen nannte. Nein. Ihr Haus war bei dem Angriff, der John Seymour das Leben gekostet hatte, völlig zerstört worden, ebenso das kleine Kontor der Firma. Es gab nicht einen Balken, nicht ein Möbelstück, das heil geblieben wäre. Victoria stand mit ihren Kindern vor dem Nichts. Sie hatte keinen Ort, wo sie mit ihnen wohnen konnte. Auf Mechthilds Angebot, bei ihnen in die Dachkammer zu ziehen, hatte sie »dankend verzichtet«, was er nachvollziehen konnte. Die Gastfreundschaft der Samoaner wollte sie auch nicht länger beanspruchen. Nein. Sie war zu ihm gekommen, um in der Praxis zu arbeiten und sich den Lebensunterhalt für sich und die Kinder zu verdienen. Und die Passage nach Hamburg. Dorthin wollte sie zurückkehren, sobald sie genug Geld gespart hatte, um die Überfahrt zu bezahlen. Das war vor einem halben Jahr gewesen. Er zweifelte nicht daran, dass sie ihr Vorhaben eines Tages in die Tat umsetzte. So war sie. Friedrich seufzte. Glücklicherweise war die Schiffskarte teuer. Er konnte sich diese Insel ohne Victoria nicht mehr vorstellen.
Er hörte Schritte auf dem Flur.
Ihre
Schritte. Wahrscheinlich trug sie das hellgraue Kleid, das sie nur sonntags und bei besonderen Gelegenheiten anzog, das jedoch perfekt die Farbe ihrer Augen zur Geltung brachte – dieses klare, ungetrübte Blau. »Kommen Sie herein!«, rief er, noch ehe sie klopfte.
»Sie sind schon wach?«
Sie trat ein. Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme. Ein Lächeln, über das er sich jedes Mal wieder freute, weil es ihr trotz Trauer und Sorgen gelang. Und weil es trotz allem echt war.
»Ich konnte nicht mehr schlafen«, sagte er und wandte sich ihr zu.
»Länger wäre es auch kaum gegangen, wenn wir rechtzeitig am Hafen sein wollen. Sie sehen gut aus, Friedrich. Nur Ihre Fliege sitzt nicht richtig.«
»Ich konnte diese Dinger noch nie binden.«
»Ich helfe Ihnen.«
Sie klappte seinen Kragen hoch, löste den Knoten der Krawattenschleife und band sie neu. Sie stand eine halbe Armlänge von ihm entfernt, so dicht wie eine Ehefrau. Er konnte ihren Duft wahrnehmen, den Geruch nach Seife, Desinfektionsmitteln und einem Hauch Maiglöckchen. Wie gern hätte er sein Gesicht in diesem Haar vergraben! Das Bett stand nicht weit weg von ihm. Vor Jahren hätte er nicht gezögert – sie mit beiden Händen an der Taille gefasst und sanft auf die Matratze geschoben. Doch er war alt. Er hätte ihr Vater sein können. Er war nahezu blind. Und dann waren da noch Wilhelm und Taisi. Auch wenn er darauf gewettet hätte, dass das Rennen bereits entschieden war. »Haben Sie mir verziehen?«
»Sie meinen …«
»Wegen gestern. Was ich zu Ihnen in der Küche gesagt habe.«
Sie seufzte. »Natürlich. Ich kenne Sie doch. Ich weiß, dass Sie nie Ihren Mund halten können.« Sie zog die Fliege gerade und klappte den Hemdkragen wieder um. »Auch wenn das nicht
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