Haus des Glücks
die Praxis profitiert davon. Wir haben neue chirurgische Instrumente bekommen, einen modernen Apparat für die Narkose, und unser Medikamentenschrank ist gut gefüllt. Wilhelm hat uns sogar einen Röntgenapparat versprochen! Ich sage so vertraut »Wilhelm«, aber er hat es mir angeboten. Er war in den vergangenen Monaten ein häufiger Gast in unserem Haus. Fast täglich kommt er zum Mittag- oder Abendessen, um mit Friedrich über das Krankenhaus zu sprechen, das die beiden planen. Er bringt oft Geschenke mit – Süßigkeiten für die Kinder, Blumen oder Seife für mich, und wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen, sieht er mich manchmal auf eine Art an, daß ich ganz verlegen werde. Friedrich hatte offenbar recht mit seinen Vermutungen. Ich bin immer wieder erstaunt, über welche Weitsicht er verfügt, obwohl er doch eigentlich so gut wie blind ist. Es ist, als hätte er einen siebten Sinn für alles Menschliche.
Wilhelm ist ein vortrefflicher Mann – klug, gebildet, weltgewandt und offen, und er trägt das Herz auf dem rechten Fleck. Im Grunde wäre ich dumm, seinem Werben nicht nachzugeben. Aber ich liebe ihn nicht, seine Anwesenheit erzeugt kein Händezittern und keine Schwindelgefühle. Im Gegensatz zu Taisi. Ich mag seinen Humor, seine Stimme, wenn er leise bei der Arbeit im Garten singt, seinen Umgang mit den Kindern, sein Lachen. Ich erkenne seine Schritte schon von weitem. Und wenn er geht, finde ich oft eine Kleinigkeit, die er zurückgelassen hat – eine Blüte, eine besonders schöne Muschel, eine kleine Schnitzerei. Dann bin ich aufgeregt und freue mich wie ein Backfisch. Fast wie damals bei John. Die Klatschmäuler von Apia würden gewiß nicht stillstehen – eine weiße Witwe und ein Samoaner! Welch ein Skandal! Daß zahlreiche Europäer – darunter auch Witwer – mit Samoanerinnen verheiratet sind, spielt dabei natürlich keine Rolle. Bei Männern ist es immer etwas anderes. Aber eine Frau? Nun, das allein wäre mir egal. Ich bin es mittlerweile gewohnt, gegen Konventionen zu verstoßen und im Mittelpunkt der Kaffeetischgespräche zu stehen, das macht mir nichts aus. Aber bin ich schon bereit für eine neue Bindung? Ich weiß es nicht. Taisi scheint meine Unsicherheit zu spüren, denn er hat mich noch nicht gefragt. Er bedrängt mich nicht, sondern wartet still und geduldig ab. So wie es seine Art ist. Am liebsten würde ich ihn dafür küssen. Doch dann habe ich wieder ein schlechtes Gewissen. Was würde John sagen?
Wilhelm wird Weihnachten bei uns feiern – er hat schließlich keine Familie hier auf Samoa. Ich werde versuchen, die Gelegenheit zu nutzen, um mit ihm zu sprechen, auch auf die Gefahr hin, daß er sich zurückzieht. Es täte mir aufrichtig leid um die Freundschaft, die sich zwischen uns entwickelt hat. Ich bin sicher, sowohl der Doktor als auch ich würden die anregenden Gespräche vermissen. Aber ich brauche klare Verhältnisse. Und Friedrich hat recht, Wilhelm hat es verdient zu wissen, woran er ist.
Victoria hatte frei. Es war Mittwoch, die Praxis war geschlossen, Friedrich passte zu Hause auf die Kinder auf, und sie konnte in Ruhe in Apia umherstreifen und einkaufen, bis der nachmittägliche Regenguss jede Außenaktivität einschränkte. Nachdem sie ihre Besorgungen erledigt hatte, schlenderte sie zum Hafen hinunter und von dort aus zum Strand. Sie zog ihre Schuhe und Strümpfe aus und ging zum Wasser. Sie liebte es, den feinen weißen Sand zwischen ihren Zehen zu spüren, das Rauschen des Meeres zu hören, Muscheln zu sammeln. Oft dachte sie dabei an John. Sie war nicht mehr wütend oder verzweifelt. Sie freute sich über die schönen Zeiten, die sie miteinander verlebt hatten, dass ihr gemeinsamer Lebensweg sie hierhergeführt hatte, an diesen Strand zu diesem Meer. Sie war dankbar. Trotz allem hatten sie es gut, und eines Tages, da war sie sich ganz sicher, würden sie einander wiedersehen. Es ging bereits auf ein Uhr zu, als sie sich auf den Rückweg machte.
Zu Hause fand sie Friedrich und die Kinder im Garten. Er schlief in einem der Sessel, der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Dass die beiden Jungs Freude daran hatten, Johanna zwischen sich hin und her laufen zu lassen, und dass das kleine Mädchen laut kreischte, sobald sie den Ball in ihre Händchen bekam, schien ihn nicht zu stören.
Victoria ging zu ihren Kindern, hockte sich neben ihrer Tochter ins Gras und gab ihr den Ball.
»Hast du gesehen, wie gut sie schon laufen kann?«, fragte Konstantin mit
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